Die Tore zur Unterwelt 1 - Das Buch des Dämons: Roman (German Edition)
vorsichtig einen Schritt vor. »Ich war am Leben … und so lange wach, dass ich es beobachten konnte. Du hast gut gekämpft, besser als ich dich jemals habe kämpfen sehen.«
»Danke.«
»Nur warst nicht du das, der da kämpfte.« Sie sprach
zögernd, obwohl ihr Blick ruhig und gelassen war. »Nicht du hast über mir gekniet. Es war jemand anders.« Sie musste sich zwingen, den Blick aufs Meer zu richten. »Jemand mit Augen, die keine Pupillen hatten.«
Lenk antwortete nicht. Der Strand dachte nicht daran, für ihn einzuspringen. Die Wogen murmelten sacht, und der Wind war nur ein Hauch. Sie rieb sich die Arme, als sie fröstelte, gefangen zwischen seinem Schweigen und dem des Meeres.
Zwischen ihnen stand jemand anders.
Kataria trat einen Schritt zur Seite, stumm, als wollte sie einfach nur der Wesenheit ausweichen. Sofort wurde ihr wärmer, aber nicht, weil sie sich von irgendeiner imaginären Präsenz entfernte. Erst als sie die Wärme noch stärker spürte, bemerkte sie aus dem Augenwinkel Lenk, der unmittelbar hinter ihr stand, in ihren Fußstapfen, und schweigend aufs Meer blickte.
Einen Moment waren sie es zufrieden zu schweigen.
»Ich kann mich kaum daran erinnern.« Sein Murmeln schien das Schweigen in Scherben zu schlagen.
»Ich kann mich nicht daran erinnern, wie sie starben; ich weiß nur noch, dass sie tot waren.« Seine Augen wirkten ausdruckslos und leer. »Aber an die Schatten erinnere ich mich, an das Feuer … an Schwerter. Danach war niemand mehr am Leben.« Er senkte den Blick. »Ich bin in einer Scheune aufgewacht, in einer ausgebrannten Scheune. Ich hatte mich versteckt; keine Ahnung, warum ich nicht gekämpft habe. Ebenso wenig weiß ich, wessen Scheune es war oder wem das Haus daneben gehörte. Von meiner Mutter, meinem Vater und meinem Großvater erinnere ich mich nur noch an die Gesichter …«
Sie hörte, wie er die Augen zukniff.
»Und manchmal … nicht einmal mehr an die.«
Er drehte sich um, machte Anstalten, wegzugehen, der kalten Wesenheit seinen Platz zu überlassen. Kataria packte zu, ergriff seine Hand und zog ihn zurück.
»Ich will nicht darüber reden«, flüsterte er.
Sie drückte seine Hand, drehte ihn zu sich herum und lächelte ihn an.
»Dann lass es.«
Ein Wind sang über dem Meer und brachte die Wärme des Morgens mit sich. Als besäße er Sinn für Humor, hob er ihre langen Haare an, hoch in die Luft, und spielte mit den Strähnen aus Gold und Silber, wob sie ineinander.
Die Sterne verblassten. Die Sonne schöpfte Mut aus dem Murmeln des Waldes und der primitiven Sinfonie der Brandung. Der Tag brach an.
»Zeit, aufzubrechen, hm?« Sie warf einen Blick auf den orangefarbenen Horizont. »Ich sollte mich wohl fertig machen.«
»Ich habe dir meinen Plan noch nicht einmal geschildert«, erwiderte er. »Vielleicht bist du daran gar nicht beteiligt.«
»Natürlich bin ich beteiligt«, erwiderte sie lächelnd. »Ich bin die Schlaue.«
Sie klopfte auf eine Börse an ihrem Gürtel, bevor sie über den Strand davonrannte. Ihr langes Haar wehte hinter ihr her. Lenk sah ihr nach und spürte, wie sich unwillkürlich ein Lächeln auf sein Gesicht stahl. Sie ist wirklich eine angenehme Gesellschaft, dachte er, und ihr Tod wäre tatsächlich eine Tragödie.
Nach wenigen Augenblicken wurden ihre leichtfüßigen Schritte von einem eindeutig trägeren Gang abgelöst. Lenk warf einen Blick über die Schulter. Denaos kam auf ihn zu. Er kratzte sich an Stellen, auf die man kaum Aufmerksamkeit lenken sollte. Sein Haar war zerzaust, sein Wams offen, und er schlürfte genüsslich Kaffee aus einem bis zum Rand gefüllten Zinnbecher.
»Guten Morgen.« Er blieb stehen, trank einen Schluck und sah Kataria nach. »Meine Güte, hast du sie endlich vertrieben? Habe ich vielleicht etwas Vergnügliches versäumt?«
»Nur Einsamkeit und Frieden«, meinte Lenk mürrisch.
»Beides schwer zu finden.« Er nickte. »Ich wäre wirklich sauer, wenn ich du wäre.«
»Wieso bist du eigentlich schon wach?« Der junge Mann musterte den Assassinen fragend. »Normalerweise rührst du doch vor dem Mittag keinen Muskel, es sei denn, du musst pinkeln oder hast Feuer gefangen.«
»Erstens ist das nur einmal passiert. Und zweitens konnte ich nicht schlafen. Die anderen haben mich wach gehalten.«
»Die anderen?«
»Alle«, knurrte er. »Gariath schnarcht wie die Bestie, die er ist, und Asper schnarcht wie das Biest, dem sie eigentlich ähnlich sehen sollte. Aber am schlimmsten waren
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