Die Tore zur Unterwelt 1 - Das Buch des Dämons: Roman (German Edition)
protestierend. Sie achtete ebenso wenig darauf wie auf das Pochen in ihren Ohren und die Qualen ihres Körpers. »Nicht ohne Lenk.«
»Ich bin sicher, dass er diese Anhänglichkeit zu schätzen weiß.« Denaos verschränkte die Arme und verdrehte die Augen. »Doch angesichts der Tatsache, dass er hinter Silf allein weiß wie vielen Tonnen solidem Gestein festsitzt und wir hier draußen sind und … du weißt schon, am Leben sind, würde er uns das vermutlich nicht übel nehmen.«
Sie ignorierte ihn, raffte ihren Bogen und den Köcher mit den Pfeilen aus den salzigen Pfützen und schlang sich beides über die Schultern. Sie achtete auch nicht auf ihren humpelnden Gang, als sie zu dem Stein ging und mit den Fingern darüberstrich.
»Er ist ziemlich groß, falls dir das entgangen sein sollte«, merkte Denaos an. »Und dick. Ich habe es überprüft.«
Sie warf ihm einen gleichgültigen Blick über die Schulter zu.
»Zugegeben, nicht sonderlich sorgfältig.« Er seufzte. »Immerhin hatte ich mich um eine halb tote Shict zu kümmern.« Er klatschte in die Hände. »Aber du bist wieder auf den Beinen. Du läufst herum. Was immer hier unten noch herumlungert, ist im Moment mehr als beschäftigt, was uns eine ziemlich gute Möglichkeit für die Tätigkeit gibt, die ich so sehr schätze, weil mir dann niemand den Kopf abbeißen kann.«
»Du hättest schon längst weglaufen können«, antwortete sie und drehte sich wieder zu dem Quader herum.
»Wenn du meinen Rücken deckst, sind meine Chancen besser.«
»Wenn Lenk uns beiden den Rücken deckt, sind unsere Chancen noch besser. Hilf mir, danach zu suchen.«
»Wonach?«
»Nach einem Griff… einem Hebel … nach irgendetwas, das diesen Klotz bewegt. Keine Ahnung. Du bist doch angeblich so geschickt in solchen Dingen.«
»Du meinst in hoffnungslosen Situationen?« Er schüttelte den Kopf. »Nur aus der Not der Erfahrung. Wenn hier etwas wäre, das diesen Stein bewegt, hätte ich es gefunden. Die einzige Chance, die du jetzt noch hast, ist, ihn mit deinem hässlichen Gesicht zu zertrümmern.« Er schnaubte. »Zugegeben, das mag möglicherweise verlockend …«
Seine Stimme wurde undeutlich, und sie konnte seine Worte problemlos ignorieren, als sie das Ohr an den Stein drückte. Die Geräusche waren nur sehr schwach: Schlurfen, Platschen, dann irgendetwas Lautes, Gewalttätiges. Doch unter all das mischte sich auch ein vertrauter, wenn auch sehr schwacher Klang.
Er lebt.
Jedenfalls klang es für sie so, als wäre er noch am Leben.
Es war nur schwer zu erkennen; sie hatte nur Fetzen seiner Stimme gehört. Das Geräusch war sehr schwach gewesen, verklingend, eben noch da und plötzlich verschwunden. Vielleicht hatte sie es sich auch nur eingebildet.
Hatte ihr Verstand ihr einen Streich gespielt, oder täuschten sie ihre blutenden Ohren? Oder vielleicht wusste sie, tief in ihrem Herzen, auch wenn ihr Verstand das nicht akzeptieren wollte, dass er bereits tot war. Möglicherweise hatte sie seine letzten Atemzüge wahrgenommen, bevor er von dieser Welt verschwand. Wie auch immer, es war ein dürftiger, schwacher Vorwand, in dieser verfluchten Festung zu bleiben, in der es von Dämonen wimmelte.
Trotzdem, dachte sie, während sie sich die Knöchel an dem Fels aufschlug, ich habe schon aus weit nichtigeren Gründen gehandelt.
»Beeil dich«, knurrte sie, während sie sich bückte und den Fuß des Quaders untersuchte. »Es geht ihm nicht gut.«
»Im Vergleich zu dir?« Sie hörte Denaos’ Seufzer. »Viel Glück.«
Sie drehte sich um, als sie Schritte hörte. Denaos schlenderte ohne Hast oder Zögern zu dem überschwemmten Teil der Kammer. Sie hob fragend eine Braue.
»Wohin willst du?«
»Bitte, machen wir es doch nicht kompliziert, ja? Wir alle wussten, dass sich unsere Wege irgendwann trennen würden.« Er hob resigniert die Hände. »Ich habe getan, was ich konnte. Silf sei mein Zeuge!«
»Du hast gar nichts getan!«, schrie sie ihm nach, als wären ihre Worte Pfeile. »Ich weiß, dass dein armseliger Rundohr-Gott Feigheit belohnt, aber ich tue das nicht. Und jetzt komm gefälligst zurück und hilf mir!«
Er spürte, wie sich ihr Blick in seinen Rücken bohrte, dieser Blick aus smaragdgrünen Augen, unter denen selbst Lenk zusammenzuckte. Aber er war nicht Lenk. Und auch nicht Gariath. Ganz sicher nicht Kataria. Er war ein vernünftiger Mann. Er war ein vorsichtiger Mann. Kurz, ein Mann,
der wusste, wann es Zeit war, die Beine in die Hand zu nehmen.
Rede dir
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