Die Tore zur Unterwelt 1 - Das Buch des Dämons: Roman (German Edition)
fasziniertem Blick.
Er musste schlucken, als der Tropfen schließlich ihren Nabel erreichte und wie ein silberner Stalaktit an dessen oberem Rand baumelte. Er zitterte bei jedem Atemzug, den sie tat, bei jeder Bewegung ihres flachen Bauches. Sein Atem, den er unbewusst in diese Richtung schickte, wurde schwerer. Der Tropfen glitzerte, hob sich deutlich gegen den Schatten
der ovalen Mulde ab, bevor etwas passierte. Einer von ihnen atmete zu tief, zuckte zu hart zusammen, und der Tropfen zitterte noch einmal.
Dann fiel er.
Er landete mit einem lautlosen Platschen auf seinem Schoß und hinterließ einen dunklen Fleck auf seiner dreckigen Hose. Erst als die silberne Flüssigkeit nicht mehr funkelte, blinzelte er wieder und begriff plötzlich auch, worauf er so lange gestarrt hatte.
Er schreckte mit einem unartikulierten Grunzen hoch und straffte die Schultern. Sein Kopf stieß gegen etwas Hartes, und Kataria wiederholte sein Grunzen, als sie zurückzuckte und sich das Kinn rieb. Sie betrachtete ihn, verwirrt und gereizt, wie ein erschrecktes wildes Tier.
»Was?«
»Was was?« Seine Stimme klang schrill und brüchig.
Sie blinzelte. »Ich … ich habe nichts gesagt.« Sie neigte den Kopf auf die Seite, und ihre Miene wurde plötzlich besorgt. »Habe ich einen Nerv erwischt oder so etwas?«
»Ja.« Er rutschte unbehaglich auf dem Sitz hin und her. »Einen Nerv oder so etwas.«
Sie nickte, erwiderte jedoch nichts. Wenigstens scheine ich sie nicht abzustoßen, dachte er. Sie redete nicht und zuckte nicht zusammen, als sie in die Hocke ging und ihn anstarrte. Er räusperte sich und sah nachdrücklich auf die Planken zu seinen Füßen, in der Hoffnung, dass sie ihr Interesse an ihm verlieren und sich etwas anderes zu tun suchen würde.
Was er schon während des ganzen Jahres gehofft hatte, seit sie sich getroffen hatten.
Kataria hatte jedoch nie etwas anderes tun wollen, als ihm zu folgen. Sie hatte auf all ihren Reisen noch nie jemand anderen getroffen, dem sie auch nur einen zweiten Blick gegönnt hätte. Und sie hatte niemals aufgehört, ihn anzustarren.
Er räusperte sich etwas lauter. Mehr konnte er ohnehin nicht tun. Wenn er sie wegjagte, würde sie ihn einfach nur
aus der Ferne anstarren. Wenn er sie fragte, was sie an ihm so interessant fand, würde sie nicht antworten. Wenn er sie schlug, weil seine Wut seine Geduld überwog, würde sie zurückschlagen, und zwar härter als er. Und ihn weiter anstarren.
Sie würde immer starren. Er würde immer ihren Blick auf sich spüren.
»Dir geht etwas im Kopf herum.«
Katarias Stimme klang auf einmal seltsam. Fern und gleichzeitig schmerzhaft nah zischte sie ihm direkt ins Ohr, aber wie durch eine Glasscheibe. Er knirschte mit den Zähnen und schüttelte den Kopf, bevor er sich ihr zuwandte, um sie anzusehen. Sie starrte ihn immer noch an, und in ihren Augen blitzte ein Ausdruck, den er in diesem Moment nicht begriff.
»Was ist es?«, fragte sie.
Du, hätte er gern geantwortet. Ich denke an dich. Ich denke an deinen Körpergeruch, und daran, wie du stinkst, und dass ich einfach nicht genug davon bekommen kann. Ich denke daran, wie du mich anstarrst, und dass ich nichts dazu sage und nicht weiß, warum nicht. Ich denke daran, wie du mich ansiehst, und warum etwas in meinem Kopf kreischt, und was es kreischt und warum mich das nicht kümmert.
All das hätte er gern gesagt.
»Heute«, antwortete er stattdessen.
Sie nickte und stand auf. Dann reichte sie ihm die Hand; er nahm sie und zog sich mit ihrer Hilfe auf die Füße.
»Das kann einem schon Kopfzerbrechen bereiten, stimmt’s?«
Ach wirklich? Kopfzerbrechen? Ein Mann ertrinkt auf dem Trockenen in den Klauen von etwas, das nicht existieren sollte, und wir sollten uns darüber den Kopf zerbrechen? Du bist ein stinkendes Genie.
»Hm … hm.« Er nickte.
»Du wärst fast gestorben.«
Ihm dämmerte, dass er eigentlich über den beiläufigen Tonfall, mit dem sie das äußerte, beleidigt sein sollte.
»Kann passieren.« Ihm dämmerte, dass das keine normale Antwort war, für niemanden.
Sie starrte ihn weiter an. Diesmal wandte er den Blick nicht ab, verlor sich in der Spiegelung in ihren Augen. Hinter ihm ging die Sonne hinter dem dümpelnden Rumpf der Kettenhexe unter und tauchte den Himmel in das matte Violett eines Blutergusses. Über ihm tauchten die ersten Sterne auf, die sich heraustrauten, nachdem die Möwen vertrieben worden waren. Vor ihm schien die Welt nur in ihren Augen zu existieren, und alles
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