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Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)

Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)

Titel: Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Sykes
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hören. Melodische, wohlklingende, wortlose Lieder, die durch Wasser und Haut drangen, in ihn einsickerten. Sie sangen alles gleichzeitig, Wiegenlieder und Trauerklagen, sangen von Liebe und Qual. Es war ein vertrautes Lied, eines, das er schon einmal gehört hatte. Nur wusste er nicht, wo, konnte über gar nichts nachdenken. Solange er dieses Lied in den Ohren hatte, gab es keinen Raum für andere Geräusche. Das tröstete ihn. Er fand Frieden in der Tiefe.
    Und zwar in solchem Maße, dass er nicht wusste, warum er nicht in der Lage sein sollte zu atmen.
    Allerdings schien das nicht sonderlich wichtig zu sein. In dieser warmen, einladenden Tiefe gab es keine Furcht, weder vor dem Ertrinken noch vor den Leichen, die um ihn herum versanken. Hier unten war alle Wut aus den langen Gesichtern der Niederlinge ausgemerzt, ihre Augen waren geöffnet, ihre Blicke gelassen, als sie sacht nach unten sanken, umgeben von den Trümmern des Schiffs, die an noch nicht zusammengesetzte Särge erinnerten. Hier unten wirkten die Kreaturen, die um ihn herumschwammen, ihre schwarzen Augen und fahlen Häute nicht ganz so bedrohlich.
    Hier unten verspürte er zum ersten Mal seit Wochen keine Furcht.
    »Genießt du es?«
    Die Stimmen kamen von überallher, so klar wie das Wasser selbst. Er erhaschte einen Blick auf etwas, das am Rand des Lichtscheins schwamm, in den Schatten, die ihn umgaben. Eine graue Haut bewegte sich, eine Schwanzflosse, die wie eine Axt aussah, glitt durch das Wasser, rote und schwarze Haare trieben wie Tang im Meer.
    Er erinnerte sich an Machtwort.
    Sie tauchte auf. Nein, rief er sich ins Gedächtnis, es ist keine sie. Stattdessen erschien ein Gesicht, ein weiches milchig weißes Oval, umrahmt von langem, seidenem Haar in der Farbe von Feuer. Seine Augen waren golden und glitzerten über weichen Lippen, die finster zusammengepresst waren. Es trieb näher an Lenk heran, und jetzt sah er auch den Rest, den langen grauen Stängel, der ihm als Körper diente und in der Dunkelheit verschwand.
    Ein anderer Kopf tauchte auf, dessen schwarzes Haar im Schatten blieb und der auf einem identischen Stängel saß. Sie umkreisten ihn, während der riesige graue Fisch, den die Stängel krönten, um ihn herumschwamm. Es gab noch einen Stängel, der schlaff und ohne Kopf herunterhing. Lenk erinnerte
sich daran, dass es noch einen Kopf gegeben hatte. Und ihm fiel auch ein, dass er ihn abgeschlagen hatte.
    Dann erinnerte er sich daran, dass Machtwort ihn dafür töten wollte.
    Dieser Gedanke löste die Erkenntnis aus, dass seine Lungen funktionierten. Und dieses Wissen drängte ihn zu seiner Frage.
    »Warum bin ich am Leben?«
    »Es gab eine Zeit, in der Himmel und Meer nicht die armseligen Rivalen waren, die sie heute sind«, antwortete Machtwort in einem disharmonischen Duett. »Sie haben alles miteinander geteilt. Wir erinnern uns an diese Zeit. Ulbecetonth erinnert sich an diese Zeit.« Die goldenen Augen zogen sich zu vier dünnen Schlitzen zusammen. »Dies hier ist Ihr Reich.«
    »Mag sein, aber das habe ich nicht gemeint. Warum bin ich nicht tot?«
    »An uns liegt es nicht«, erwiderte die Kreatur. »Wir wollten, dass du stirbst.« Die Köpfe glitten um ihn herum, starrten ihn mit goldenen Augen böse an und fletschten die Zähne. »Du hast unseren Kopf abgeschlagen. Du hast unseren Tempel vernichtet. Du hast die Fibel geraubt. Du hast alles zerstört. Wir wollten, dass du ertrinkst, stirbst, tausend Jahre lang von winzigen Fischen gefressen wirst.«
    »Und doch... sind wir hier«, erwiderte er. In der Tiefe war kein Platz für Furcht.
    »Wir wurden überstimmt.«
    »Von wem?«
    Die Köpfe sahen sich an, richteten ihre Blicke auf Lenk und starrten dann durch ihn hindurch. Unsichtbare Hände drehten ihn sanft in dem Lichtschein herum, damit er auf den Meeresgrund blicken konnte. Er starrte einen Moment angestrengt hinab und sah nichts.
    Dann sah er Zähne.
    Beiläufig versuchte er, sie auf den ersten Blick zu zählen, doch die Aufgabe war so ungeheuerlich, dass ihm schnell
der Schädel brummte. Reihen und Reihen von Zähnen öffneten sich, schienen den endlosen sandigen Meeresgrund mit einem ungeheuren Lächeln aufzureißen.
    »Lenk.« Eine Stimme erhob sich, tief und weiblich. »Hallo.«
    Er starrte in das Nichts zwischen den Zähnen, das ungeheure, endlose Nichts.
    »Hallo«, antwortete er. »Ulbecetonth.«
    Es lachte. Nein, verbesserte er sich. Es ist eine Sie. Und ihre Stimme war weit angenehmer und mütterlicher, als die

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