Die Tore zur Unterwelt 2 - Dunkler Ruhm: Roman (German Edition)
tastete seinen Körper mit den Händen ab. Er atmete schnell und angestrengt, aber regelmäßig. Seine Muskeln waren angespannt, sie verwandelten sich jedoch weder in Brei noch verhärteten sie sich als Anzeichen eines Fieberkrampfs. Sein Puls raste, aber er war wenigstens vorhanden. Er war verletzt und vergiftet, aber er würde nicht sterben.
Ihretwegen.
»Weg«, flüsterte er.
»Ja«, sagte sie. »Es ist geflüchtet.«
»Ich meinte meinen Whiskey«, krächzte er mit trockenem Mund.
»Sicher. Entschuldige.«
»Nicht deine Schuld.« Er grinste. »Jedenfalls nicht nur.« Er versuchte tapfer zu lachen, zuckte bei dem Versuch jedoch zusammen. »Das tut weh.«
»Ich habe schon schlimmere Wunden gesehen als diese«, erwiderte sie seufzend. »Ich glaube, du wirst...«
»Letzte Ölung.«
»Was?«
»Sterbesakramente.«
»Nein, du wirst nicht ...«
»Ich will nicht ohne Absolution sterben.«
Er legte ihr sanft die Hand auf den Arm. Ihr Arm pochte unter seiner Berührung, weigerte sich, die Wärme eines anderen menschlichen Wesens zu ertragen. Sie kämpfte gegen den Drang an, ihn wegzureißen.
»Ich will nicht sterben«, flüsterte er.
Asper wusste, dass sie ihm die Sterbesakramente nicht geben konnte, denn er würde nicht sterben. Es gab keine
Anzeichen einer tödlichen Vergiftung. Die Klauen des Ungeheuers hatten seine Hauptschlagader verfehlt, und das Gift würde vermutlich vor allem entsetzlich schmerzen. Trotz all der schrecklichen Sachen, die er getan hatte, würde er überleben... wieder einmal.
Ihm die Sterbesakramente zu verabreichen wäre eine Täuschung, eine Sünde.
Das hätte sie ihm sagen können.
»Absolution«, sagte sie stattdessen beinahe zärtlich, »erfordert eine Beichte.«
»Ich...« Seine Lider zitterten, als er diese bebenden Worte herausbrachte. »Ich... ich habe sie getötet.«
»Wen getötet?«
»Sie war ... ist ... so wunderschön. Ich habe ihr nur die Kehle durchgeschnitten... kein Schmerz, keine Schreie. Heilige Stille.«
»Wer war sie, Denaos?« In ihrer bebenden Stimme und in ihren geballten Fäusten schwang eine Dringlichkeit mit, die sie selbst nicht begreifen konnte. »Wer?«
Die nächsten Worte, die er sagte, wurden von Speichel erstickt. Der Schmerz, den er erlitt, war in seinen Augen deutlich zu erkennen, ebenso die Beunruhigung, als er fast panisch über ihre Schulter blickte. Er hob eine Hand und deutete mit einem Finger auf den gezackten Rand der Mauer. Ihr Blick folgte seiner Hand, seinem Finger, der Fingerspitze, und sie sah sie. Sie starrte sie an.
Und in der Dunkelheit erwiderten Dutzende von runden gelben Augen ihren starren Blick.
Semnein Xhai war nicht vom Tod besessen. Sie war eine Carnassia, stolz auf all jene, die sie getötet hatte und die ihr das Recht eingebracht hatten, sich so nennen zu dürfen. Aber nur diese Toten erfüllten sie mit Stolz. Wegen der Toten, die nicht ihren Händen zum Opfer gefallen waren, ärgerte sie sich. Sie ließen Fragen offen. Fragen erforderten Denken. Denken war etwas für Schwächlinge.
Und die Schwachen lagen vor ihren Füßen, zwei kalte Leichen von Langgesichtern.
»Wie?«, stieß sie zwischen ihren spitzen, scharfen Zähnen hervor.
»Vielleicht hat man ihnen aufgelauert«, meinte Vashnear. Der Hexer stand neben ihr.
Er hielt sich von den Leichen fern, die er gleichgültig betrachtete, die Hände sorgfältig unter seiner Robe gefaltet. Sein langes purpurnes Gesicht war eine Maske der Langeweile, eingerahmt von makellos frisiertem weißem Haar. Nur ein kaum wahrnehmbares Grinsen verriet, dass er keine Statue war.
»Immerhin sind Frauen nicht unbedingt wegen ihrer Geistesgegenwart berühmt«, meinte er leise.
»Sie sind dafür berühmt, dass sie nicht sterben wie ein paar wertlose, dumme Schwächlinge!«, schnarrte sie. »Woran sind sie gestorben?«, fuhr sie fort. Ihre Stimme schien in
ihrer Kehle zu sieden. Nach einem Augenblick des Schweigens fuhr sie zu der Frau neben sich herum. »Also? «
Die Angesprochene, eine narbengesichtige Schwarzhaarige, deren Waffe der Bogen der Schwächlinge war, reagierte mit einem Grunzen, bevor sie steifbeinig zu den Leichen trat. Sie ließ kurz ihren Blick über sie gleiten, bevor sie ihren Handschuh auszog. Xhai betrachtete verächtlich ihre Finger, insgesamt drei, von denen die beiden untersten miteinander verschmolzen waren. Dieser besondere Geburtsdefekt verdammte sie, wie all die anderen Kurzhände, zum Gebrauch des Bogens und machte sie damit zum Objekt ihrer
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