Die Tore zur Unterwelt 3 - Verräterische Freunde: Roman (German Edition)
angefangen hatte zu beten, wuchs bei seinem Anblick. Sie legte sich wie eine Last auf ihre Schultern. Sie drückte auf ihren Hals. Sie fraß die Wut aus ihrem Körper, trank den Atem aus ihrer Lunge.
Aber trotz dieses Gewichtes, trotz der nur halb formulierten Gebete in ihrem Kopf, trotz ihres hämmernden Herzens konnte sie immer noch hören, wie sie sich selbst verfluchte.
Nicht jetzt, du Idiot!, schnarrte sie lautlos. Nicht vor Nai. Sie knirschte mit den Zähnen, spürte, wie sich ihr Nacken gegen das Gewicht anspannte, als sie versuchte, es von den Schultern zu heben. Er ist kein Gott. Es gibt keine Götter. Nicht auf der Erde. Sieh ihn an.
Es tat weh, den Kopf zu bewegen, nur daran zu denken. Aber sie zwang sich, beides zu tun.
Sieh hin.
Sie tat es.
Er nicht.
Sheraptus stand mit gesenktem Kopf unter der schwarzen eisernen Krone da und starrte aufmerksam auf seine Handfläche. Mit einem langen Finger schob er vorsichtig kleine schwarze Stücke in seiner Hand herum und versuchte, ein verbranntes Puzzle zusammenzusetzen.
Sie spürte keinerlei Erleichterung darüber, dass er sie keines Blickes würdigte, als sie an ihm vorbeigeschoben wurde. Ihre Furcht lastete wie eine Bürde auf ihrem Rücken, und sie fühlte sich plötzlich ausgesprochen schwer. Unvermittelt flammte Ärger in ihr auf, der ihr fast keinen Raum mehr zum Atmen ließ. Dass er ihr so etwas antun konnte, ihr oder Nai oder dem anderen Mädchen, und nicht einmal hinsah, wenn seine Opfer an ihm vorbeigeführt wurden, das war … es war einfach …
Ihr fehlten die Worte, um ihre Gefühle zu beschreiben. Stattdessen empfand sie ein starkes Verlangen. Das Verlangen zu schreien, der drängende Wunsch, sich aus dem Griff ihrer Häscher zu befreien und ihn mit diesem Arm anzuspringen, dem Arm, der vor Schmerzen pochte, Schmerzen, die sie nur zu gern mit jemandem, mit ihm teilen wollte.
Doch diese Wünsche verließen sie wie ihr Atem, als eine Niederling sie herumdrehte, ihr eine Handfläche auf den Bauch legte und sie gegen die Wand der riesigen, runden Kammer stieß. Aspers Sinne schwanden, als die Luft aus ihrer Lunge entwich. Sie merkte nicht einmal, wie man ihre Arme so hoch über ihren Kopf hob, dass sie sich auf die Zehenspitzen stellen musste. Ihr Verstand kehrte erst zurück, als Metall schnappte und man ihre Handgelenke in Fesseln schlug. Sie hing an der Wand wie ein makabres Kunstwerk.
Ihre Häscherin trat zurück, erwiderte Aspers finsteren Blick mit kalten Augen und angespannten Muskeln, als wollte sie Asper herausfordern, ihr doch einen Grund zu geben, diese behandschuhten Hände benutzen zu können, die sie über ihrer Brust gefaltet hatte. Die Priesterin begnügte sich mit einem finsteren Blick. Die Niederling, um ihr Vergnügen gebracht, schnaubte verächtlich und verschwand.
Nai hatte weit mehr zu bieten.
»Bitte, nein, bitte hört auf, bitte, nein, bitte hört auf!«, sang sie, als würden diese Worte mehr Macht gewinnen, je häufiger sie sie hervorstieß. »Bitte, bitte, bitte, bitte, bitte …!«
Die Niederling, die das Mädchen hielt, achtete nicht auf sein Flehen, als sie Nai in ähnliche Handschellen zwang, aber auf der gegenüberliegenden Seite der Kammer. Nai schien Aspers Anwesenheit vollkommen vergessen zu haben. Sie schüttelte unablässig den Kopf, brachte ihre Verzweiflung mit diesem Sprechgesang zum Ausdruck.
Niemand schien die Wandmalereien zu bemerken.
Sie waren auch fast nicht mehr zu erkennen. Der Ruß von Fackeln, die man in alle möglichen Ritzen in der Wand gesteckt hatte, hatte sie verschmiert, oder sie wiesen Spuren von Kämpfen oder aus Langeweile geborenem Vandalismus auf. Asper konnte jedoch noch einige wenige Bilder erkennen: Männer, die gegen riesige schwarze Gestalten in die Schlacht zogen, begleitet von grünen reptilienartigen Kreaturen, die neben ihnen marschierten. Und zwischen ihnen schritten riesige steinerne Kolosse, in Roben gekleidet, mit ausgestreckten Händen.
Asper wurde klar, dass sie solche Kolosse bereits gesehen hatte: Es waren die großen steinernen Monolithen auf Teji, die als Bilder ebenso beeindruckend waren wie in der Realität.
Sie marschierten in den Untergang, zerschmetterten die schwarzen Gestalten unter ihren Schritten und schlugen mit ihren gebieterisch ausgestreckten Handflächen weißhäutige Kreaturen in die Flucht. Asper folgte ihnen mit dem Blick, wie sie über die Wände marschierten, unter den Fahnen von zahlreichen Göttern, mit hoch erhobenen Waffen. Sie
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