Die Tortenbäckerin
sie offenbar spürte, dass von Mathilde keine wirkliche Gefahr ausging, wurde sie mutiger. »Du riechst aber gut«, sagte sie zu der fremden Frau. »So frisch wie der Frühling.«
»Ich ⦠ähm ⦠habe heute Erdbeeren zu einer süÃen Creme verarbeitet.«
»Oh«, machte Leni, »Erdbeeren. Das ist ein wunderschönes Wort.«
»Hast du etwa noch nie Erdbeeren gegessen?«, erkundigte sich Mathilde. Oliver sah, wie sie um ihre Fassung rang, und er empfand so etwas wie Besitzerstolz auf Leni. Innerhalb kürzester Zeit brachte sie alle Menschen dazu, sie zu mögen. Nur die verkommenen Krögers waren zu abgestumpft gewesen. Bei der Erinnerung an die Krögers fühlte Oliver neuen Mut in sich aufkeimen. Mathilde mochte ihn später gern übers Knie legen, aber er wusste, er hatte recht gehandelt.
Ein bisschen Angst hatte er trotzdem vor dem, was kommen würde. Zugleich empfand er jedoch auch ungeheure Erleichterung. Mathilde war hier. Nun würde sich ein Erwachsener um Leni kümmern. Oliver gab es ja nicht gern zu, aber letztlich war diese Sache doch eine Nummer zu groà für ihn gewesen.
»Was hältst du davon«, sagte Mathilde gerade zu Leni,»wenn du mit zu uns nach Hause kommst und ein wenig Erdbeercreme probierst? Ein Bad könnte dir auch nicht schaden.«
»Das wäre schön.« Leni tastete sich durch den Raum auf die so freundlich gewordene Stimme zu und lieà sich vertrauensvoll an der Hand nehmen. »Aber Oliver kommt auch mit, ja?«
»Natürlich. Mit dem habe ich sowieso noch ein Hühnchen zu rupfen.«
»Das arme Hühnchen!«, sagte Leni und kicherte. »Aber du darfst mit Oliver nicht schimpfen«, bat sie dann voller Ernst. »Mutti und Vati sind so böse geworden, und er hat mich gerettet. Zusammen mit Paul, Harry und Olaf. Sie haben mich in einen Sack gesteckt, der wunderbar geduftet hat. Dann haben sie mich huckepack getragen. Und sie haben mir Lakritz gebracht.«
Bei der Erwähnung des Sackes sank Oliver regelrecht in sich zusammen. Er hatte gehofft, Leni möge diesen Teil ihres Abenteuers vergessen haben. Prompt traf ihn auch ein entsetzter Blick von Mathilde.
Das kann was geben, dachte er und trottete mit eingezogenem Kopf hinter den beiden her, während Leni munter weiterplauderte.
Siggo verstand die Welt nicht mehr. Was er da von seiner Mutter erfahren hatte, raubte ihm nachts den Schlaf und lieà ihn tagsüber grantig zu seinen Mitarbeitern und grob zu den Pferden werden. Moritz hatte ihm die rüde Behandlung bereits mit einem schmerzhaften Huftritt gegenden Oberschenkel vergolten, und seine Kutscher redeten hinter vorgehaltener Hand über ihn. Erst vor wenigen Minuten hatte Siggo mit angehört, wie Carl zu zwei anderen Männern sagte: »Wenn er nicht aufpasst, wird er noch genauso ein ScheiÃkerl wie der olle Oswald Lohmann.«
Zähneknirschend hatte Siggo den Stall verlassen, bevor ihn jemand bemerken konnte.
Nun stand er im Hof, zwang sich, die Kiefernmuskeln zu lockern, ballte jedoch gleichzeitig die Fäuste, bis das WeiÃe aus den Fingerknöcheln hervortrat.
Verdammt! Das musste aufhören! Nur weil ein gewisser Christoph Hansen aus Afrika zurückgekehrt war, musste er nicht ständig aus der Haut fahren. Aber das war es ja gar nicht, was ihn so aufbrachte, dachte er im nächsten Moment. Der Gedanke an Greta machte ihn verrückt. Greta, die ihm noch vor wenigen Tagen so nah gewesen war wie nie. Greta, die ihn geküsst hatte. Greta, die nun jeden Morgen nach Harvestehude fuhr und dort ihrem Liebsten Gesellschaft leistete.
Ihrem Liebsten! Ha! Wieder knirschte Siggo mit den Zähnen. Er hatte groÃe Lust, irgendjemanden zu verprügeln. Einen der frechen Kutscher vielleicht, am besten Carl, der eben das Wort geführt hatte. Er â¦
»Siegmar, was stehst du da im Hof rum wie ein Dorftrottel!« Sein Vater kam mit langen Schritten auf ihn zu.
Um ein Haar wäre Siggo zusammengezuckt. Erik Freesen ähnelte jeden Tag ein bisschen mehr dem strengen und unbarmherzigen Vater, der er einst gewesen war. Erst bei genauerem Hinsehen konnte man die neue Weichheit in seinen Zügen entdecken, die nach der überstandenen Krankheit aufgetaucht war.
Aber auch Siggo war nicht mehr der unsichere Junge von damals. Er war ein Mann, der seine alten Ãngste überwunden hatte, und er fürchtete sich vor nichts und niemandem
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