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Die Tortenbäckerin

Die Tortenbäckerin

Titel: Die Tortenbäckerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Janson
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nicht mehr die Kraft gehabt, durch die Straßen zu schlendern und ein Fähnchen zu schwenken. So blieben die Frauen der Familie Voss den Feierlichkeiten fern, und jede hatte ihren eigenen Grund dafür. Da es in ihrer Familie keinen Mann mehr gab, der mitstolzgeschwellter Brust seine Soldatenehre zur Schau stellen wollte und auf die Teilnahme am großen Festtag bestehen konnte, fiel niemandem ihre Abwesenheit auf. Einzig die Nachbarn mochten tratschen, dass die Vossens sich wohl schon zu fein seien, um mit dem niederen Volk zu feiern, aber davon erfuhren die drei Frauen nichts.
    Greta atmete erleichtert auf, als ihre Tante jetzt nicht stehen blieb, sondern flott weiter voranschritt. In der beißenden Kälte war eine Verzögerung kaum auszuhalten. Ihre Finger in den viel zu dünnen Handschuhen fühlten sich schon ganz steif an. Außerdem hatte sie es eilig, zu Siggo zu kommen.
    Eine Woche war seit dem denkwürdigen Abend vergangen, an dem Siggo und der kleine Oliver bewiesen hatten, dass Greta keine Diebin war. Ihr Ruf als gute und ehrliche Köchin war zwar wiederhergestellt, doch eine neue Stellung hatte sie danach vergeblich gesucht. Nur an zwei Tagen hatte sie in einem Speiselokal an der Großen Elbstraße ausgeholfen, für ganze zwei Reichsmark.
    Gerade jetzt, so kurz vor Weihnachten, drückten die Sorgen besonders schwer. Ein Fest würde sie dieses Jahr nicht feiern können. Sie war ja schon froh und dankbar, wenn sie etwas zu essen und ein paar Kohlen kaufen konnte. Was übrig blieb, schickte sie dem Sanatorium in den bayerischen Alpen.
    Für Barmbeck jedoch reichte ihr Verdienst nicht. Greta schauderte, und diesmal lag es nicht an der Winterkälte. Fast ein ganzer Monat war vergangen, seit sie der Familie zum letzten Mal Geld geschickt hatte. Inzwischen hätte sie selbst nach Barmbeck fahren und Leni besuchen können. Die Ansteckungsgefahr war nun vorbei. Doch Gretafürchtete sich davor, den Krögers begegnen zu müssen. Nein, sie konnte nicht fahren, bevor sie nicht wenigstens ein paar Reichsmark zusammengekratzt hatte. Greta seufzte und zwang sich, an etwas anderes zu denken. An etwas Hoffnungsvolles.
    An jenem Abend letzter Woche hatte Siggo von einer Geschäftsidee gesprochen, aber seitdem nichts mehr von sich hören lassen. Bis gestern Nachmittag Oliver erschienen war und sie für heute früh zu dem jungen Fuhrunternehmer bestellte. »Der Siggo hatte furchtbar viel zu tun«, erklärte er wichtigtuerisch. »Und ich habe ihm geholfen. Der Großhändler Müller hat ihm nämlich viele Fuhren gegeben. Aber Siggo hat bei der Arbeit die ganze Zeit nachgedacht, und jetzt will er mit dir sprechen.«
    Â»Und was ist mit mir?«, hatte Mathilde gefragt und sich drohend vor dem Jungen aufgebaut. Sie war gerade aus ihrer Wohnung heraufgekommen, um ihrer Nichte einen Rest Milch zu bringen. Sie wusste, dass Greta sich nicht mehr anständig ernährte, und tat ihr Möglichstes, um das schmale Mädchen bei Kräften zu halten, ohne ihren Stolz zu verletzen. »Hier, die unverschämte Milchfrau hat mir in der Früh einen halben Liter zu viel abgemessen. Die Milch wird schlecht, wenn du sie nicht nimmst«, hatte sie gerade zu Greta gesagt. Nun wandte sie ihre ganze Aufmerksamkeit dem Jungen zu.
    Oliver schien vor der imposanten Statur zu schrumpfen, was bei seiner schmächtigen Gestalt kaum möglich war. Er gab sich furchtbare Mühe, nicht zum Milchtopf zu schielen, aber Greta bemerkte, wie er sich unwillkürlich eine Hand auf den Bauch legte. »S… Sie natürlich a… auch«, stotterte er und wich dem strengen Blick aus. Greta jedochsah genau, dass die Augen ihrer Tante keineswegs vor Härte glänzten, sondern vielmehr vor mütterlicher Fürsorge. Den rätselhaften Lebensumständen des Jungen waren sie in diesen Tagen noch keinen Schritt näher gekommen. Jedes Klopfen an seiner Wohnungstür war unbeantwortet geblieben, und wenn sie ihn zufällig mal im Treppenhaus erwischten, flitzte er davon.
    Â»Gut«, sagte Mathilde Voss. »Und wo du schon einmal da bist, bringst du mich jetzt gleich zu deinen Eltern. Ich habe ein Wörtchen mit ihnen zu reden.«
    Â»D… das, das geht nicht.« Der sonst so flinke Junge kam aus dem Stottern gar nicht mehr heraus. »V… Vater hat heute Nachtschicht im Hafen, und M… Mutter schläft bei ihrer Herrschaft an der Elbchaussee. Sie kommt

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