Die Tortenbäckerin
Lachen zurückgab. Leise zwar, aber so fröhlich, dass sie plötzlich zehn Jahre jünger aussah. Greta tut ihr gut, dachte er und stellte erschrocken fest, dass er neidisch auf das gute Verhältnis der beiden war. Dann fiel ihm auf, dass er Greta noch nie hatte lachen hören. Es klang unbeholfen, so als müsste sie es noch üben, als hätte sie ihr Lachen verloren und müsste es noch wiederfinden.
»Aber was machen wir dann?«, fragte Greta jetzt. »Pralinen?«
Gerlinde schüttelte den Kopf. »Eins nach dem anderen,Deern. Pralinen stellen die höchste Kunst in der Conditorei dar. Du musst lernen, Pralinenhohlkörper herzustellen, verschiedene Füllungen zuzubereiten und vor allem, die fertigen Pralinen geschickt zu dekorieren. Nein, so weit bist du noch nicht. Der nächste Schritt in deiner Ausbildung sind die Torten.«
»Oh.«
Siggo fand, Greta wirkte beinahe enttäuscht. Er musste ein Grinsen unterdrücken. Das war typisch für sie. Immer alles auf einmal und möglichst mit Siebenmeilenstiefeln vorwärts kommen. Er wusste noch, wie er sie anfangs für schüchtern gehalten hatte. Inzwischen konnte sie ihm nichts mehr vormachen. Greta war ehrgeizig und mutig. Sie meisterte ihr Leben mit Bravour. Falls sie sich selbst auch noch für schüchtern hielt, so kannte sie sich weniger gut als er.
»Torten. Also gut.«
»Glaub nicht, dass es so einfach wäre«, sagte Gerlinde mit leisem Tadel. »Auch Torten sind eine Kunst für sich. Obwohl â¦Â«
»Was denn?«, fragte Greta.
»Nun, meiner Meinung nach könnte ein bisschen Abwechslung nicht schaden. Wenn ich mich in den Conditoreien unten an der Palmaille oder auch drüben am vornehmen Hamburger Jungfernstieg so umschaue, sehe ich immer dieselben Torten. Mandelrahm, Marzipan, Blätterteig ⦠alles so schwere Speisen. Ich habe schon einmal darüber nachgedacht, leichte Obsttorten zu kreieren, aber, nun ja, mir fehlt die rechte Zeit dafür.«
Greta war jetzt Feuer und Flamme, und Siggo grinste breit. Seine Mutter, stellte er fest, kannte die Deern schongenauso gut wie er. Sie wusste genau, wie sie Gretas Interesse wecken musste.
»Oh ja«, sagte Greta jetzt. »Obsttorten. Mit den Früchten aus den Vierlanden. Und der Teig? Vielleicht Mürbeteig? Wir könnten auch â¦Â«
»Wir werden sehen«, sagte Gerlinde sanft. »Aber nicht mehr heute Nacht.«
»Will ich meinen«, brummte Siggo. »Jetzt wird nicht mehr über die Arbeit geredet. Lasst uns anstoÃen.« Erneut hob er sein Glas und trank einen Schluck.
Seine Mutter hatte ihr Glas noch nicht an die Lippen gesetzt, sondern blickte plötzlich wie gebannt den Vater an. Jetzt erst bemerkte Siggo, was geschehen war, während er Gerlinde und Greta zuhörte. Erik Freesen, seit Jahren ein Gefangener seiner Schwermut, hatte sich erhoben. Er sah von einem zum anderen und sagte mit einer Stimme, die rau war von langer Sprachlosigkeit: »Prosit Neujahr!« Wie zur Antwort knallten von der StraÃe die ersten Böllerschüsse herauf, und Siggo merkte entsetzt, dass er gleich losheulen würde, wenn nicht ein Wunder geschah. Ein Wunder! Sein Vater sah auf einmal wieder fast dem Mann ähnlich, der er gewesen war, bevor Oswald Lohmann sein Unternehmen nahezu zerstört hatte. Was damals auch immer geschehen sein mochte, um Erik Freesen allen Lebensmut zu rauben â in dieser letzten Nacht des Jahres 1895 trat eine Wende ein. Oder war es schon früher geschehen? Siggo überlegte und zwinkerte mit den Augen ein paar allzu peinliche Tränen fort. Hatte es in den vergangenen Wochen nicht schon kleine Fortschritte gegeben, die er nur übersehen hatte, weil er so sehr mit dem Unternehmen und seiner Liebe zu Greta beschäftigt war? Doch, jetzterinnerte er sich. Seine Mutter hatte ihn schon das eine oder andere Mal darauf aufmerksam gemacht, dass es dem Vater etwas besserging. Aber als Siggo sie fragte, was genau damals zwischen Erik und Oswald Lohmann vorgefallen war, schwieg sie sich aus und tat, als wüsste sie es nicht.
Siggo glaubte ihr nicht und nahm sich fest vor, eines Tages die ganze Wahrheit herauszufinden.
Eine schmale Hand legte sich auf seinen Arm, und Greta flüsterte: »Ich freue mich so für dich.«
Verdammt! Jetzt musste er auch noch aufschluchzen wie ein Baby! Er räusperte sich umständlich und legte seine Hand auf ihre. Man
Weitere Kostenlose Bücher