Die Tortenbäckerin
nachzuhängen.Eine zweite Fuhre an diesem Tag würde seine magere Wochenbilanz erheblich aufbessern.
Er warf einen prüfenden Blick auf seine abgekämpften Tiere und sagte mit Bestimmtheit: »Mit diesen beiden Pferden kann ich die Tour nicht noch einmal machen. Ich muss rasch zur GeorgstraÃe fahren und die Schleswiger anspannen.«
»Dazu ist keine Zeit.« Auf Müllers Stirn bildete sich eine tiefe Falte.
Eine andere Stimme mischte sich ein, die Siggo nur zu gut kannte. »Werter Herr Müller, ich könnte sofort losfahren. Wo, sagten Sie, liegt das Schiff?«
Oswald Lohmann war unbemerkt herangekommen, auf der StraÃe sah Siggo sein Gespann stehen, und diese beiden Pferde sahen noch zehnmal schlimmer aus als seine eigenen. Aber einen Oswald Lohmann interessiert die Gesundheit seiner Tiere nicht.
Bernhard Müller verlor keine Zeit. »Tut mir leid, mein Junge, aber das Geschäft geht vor.« Dann erteilte er Lohmann den Auftrag, woraufhin dieser peitschenknallend davonfuhr.
Wie um Siggo zu trösten, sagte er noch: »Ich habe gehört, dass Gottlieb Daimler jetzt auch einen Lastkraftwagen bauen will. Darum sollten Sie sich kümmern. Das ist die Zukunft. Ein benzinbetriebenes Fuhrwerk.«
Siggo dachte an die lärmenden und stinkenden Automobile, deren Zahl im StraÃenbild erschreckend zunahm, und hatte wieder das Bild des Unfalls mit dem Hund vor Augen. Dann dachte er sich ein solches Gefährt in zehnfacher VergröÃerung. Es überstieg sein Vorstellungsvermögen. Müde lächelnd schüttelte er den Kopf. »Ich glaube nicht, dass so etwas das Richtige für mich wäre.«
»Warten wir es ab. Eines Tages werden Sie noch an meine Worte denken.«
Damit war Siggo entlassen, und er lenkte den Wagen langsam in Richtung GeorgstraÃe. Hans und Helene witterten den Heimweg und legten sich flott ins Geschirr. Der nun leichte Pritschenwagen behinderte sie kaum in ihrem Drang, zu Heu und Hafer in den warmen Stall zu kommen.
Siggos Laune besserte sich mit jedem Meter. Morgen schon war Silvester, und es war kaum zu erwarten, an diesem letzten Tag des Jahres noch Arbeit zu finden. Aber dann begann ein neues Jahr, und mit ein bisschen Glück würde sich 1896 ganz anders entwickeln. Er musste einen Weg finden, konkurrenzfähig zu bleiben. Vielleicht, so überlegte er, sollte er sich doch einmal über diese neuartigen Wagen informieren. Und wenn er wenigstens ein Automobil anschaffte? Zumindest die Fahrten für Greta konnte er damit schneller erledigen.
Siggo besaà Ersparnisse, von denen seine Eltern nichts wussten und die er sicher auf der Bank verwahrt hatte. Seit seinem zwanzigsten Lebensjahr hatte er einen Teil seines Lohnes gespart. Obwohl er in den letzten Jahren nichts hatte hinzutun können, war doch ein hübsches Sümmchen zusammengekommen. Er stellte sich vor, wie er eine elegant gekleidete Greta im Automobil über den Jungfernstieg chauffierte, um dann im Alsterpavillon mit ihr Tee zu trinken, beneidet von allen anderen jungen Männern in seiner Umgebung. Unwillkürlich brach er in lautes Gelächter aus. Greta als feine Dame im Seidenkleid! Das hatte diese tüchtige junge Frau nun wirklich nicht verdient. Wenn er mit so einem Vorschlag ankam, würde sie ihm vermutlich das Nudelholz über den Kopf ziehen und sagen:»Ich denke gar nicht daran, meine Zeit für diesen Unfug zu verschwenden.«
Sein Lachen machte einem zärtlichen Lächeln Platz. Greta. Wie war es möglich, dass er sie mit jedem Tag mehr liebte? Wie konnte es nur sein, dass dieses zierliche Mädchen mit den übergroÃen blauen Augen sein ganzes Denken und Fühlen beherrschte? Aber es war gar nicht so sehr ihr Aussehen, das ihn anzog. Was ihn vor allem faszinierte, war ihre Kraft. Greta war wie eine junge Tanne an der Nordseeküste, die sich vom Sturm biegen und beugen lieÃ, aber niemals brach.
Nicht einen Moment war er zurückgeschreckt, als sie ihm von dem Schlimmen erzählt hatte, das ihr geschehen war. Nicht eine Sekunde hatte er sie weniger geliebt. Der Gedanke, dass ein feiner Pinkel über sie hergefallen war, erfüllte ihn mit unermesslichem Zorn. Aber Greta war für ihn dadurch nicht beschmutzt. Sie war in ihrem Innern ein reines Wesen geblieben.
Und Leni! Zärtlichkeit zog in sein Herz. Dieses arme kleine Ding mit den blicklosen Augen. Was hatte ein Kind schon Böses tun können, um so bestraft zu
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