Die Tortenbäckerin
Räumlichkeiten gern einmal an. Sie werden natürlich ein wenig Arbeit investieren müssen. Sie verstehen â¦Â«
Greta verstand. Gegen den bestialischen Gestank nach verfaulten Lebensmitteln und anderen Dingen, die sie sich lieber nicht so genau vorstellen wollte, hielt sie sich ihr Taschentuch vor die Nase. Ihre Augen jedoch konnte sie nicht verschlieÃen.
»Lieber Gott im Himmel«, murmelte sie und wäre in die Knie gesunken, wenn der FuÃboden nicht mit einer schmierigen Schmutzschicht überzogen gewesen wäre. Siggo stieà ein kräftiges Schimpfwort aus und wurde dafür von seiner Mutter ausnahmsweise nicht gerügt. Gerlinde warf im Dämmerlicht einen Blick auf das Chaos und musste selbst einen Fluch unterdrücken.
Dann jedoch staunten sowohl Gerlinde als auch Siggo wieder einmal über Greta.
»Es ist bestimmt nur halb so schlimm, wie es aussieht«, sagte sie mit hölzern klingender Stimme. »Sehen wir uns einmal die Küche an.« Sie stieg über zerbrochene Möbel und Abfallhaufen hinweg und ging entschlossen in den hinteren Teil der Kneipe.
24
M athilde machte sich Sorgen um Oliver. Der Junge wollte einfach nicht gedeihen. Je mehr Essen sie in ihn hineinsteckte, desto dünner schien er zu werden. Wenn sie ihm fünf Brote mit Wurst und Käse schmierte, fing er brav an zu essen. Er kaute ziemlich langsam, aber wenn sie sich mal kurz umdrehte, waren schon drei oder gar vier Brote verputzt, sobald sie sich ihm wieder zuwandte. Mit dem Haferbrei frühmorgens war es ähnlich. Der groÃe Teller war schnell leer, und dabei war Mathilde nur einmal kurz auf den Trockenboden gelaufen, um ein Laken abzunehmen. Mathilde war eine gottesfürchtige Frau, die jeden Sonntag in die Kirche ging. In letzter Zeit jedoch fürchtete sie schon beinahe, ein böser Zauber habe ihren Schützling befallen.
Und es gab noch weitere Dinge, die ihr Sorgen bereiteten. Denn auch in der Volksschule schien es mit dem Jungen nicht recht voranzugehen. Jeden Morgen machte sich Oliver brav auf den Weg zu dem groÃen roten Backsteingebäude zwei StraÃen weiter, und er trug immer seinen Schulranzen und die Schiefertafel bei sich. Nicht einmal zu den Mahlzeiten trennte er sich von seinem Ranzen. Aber seine Noten waren schlecht. Dabei war er ein intelligentes Kind. Das hatte auch die Lehrerin, Fräulein Emilie Sommerkamp, bestätigt. »Er ist brav und kann gut rechnen undschreiben, aber ich habe oft den Eindruck, dass er nicht ganz bei der Sache ist«, hatte sie zu Mathilde gesagt, als sich die beiden Frauen einmal auf dem Wochenmarkt getroffen hatten. »Mir kommt es beinahe so vor, als ob ihn etwas anderes viel mehr beschäftigen würde als die Schule.«
Mathilde konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was das sein sollte. Oliver ging es gut, seit er bei ihr lebte. Er hatte jemanden, der sich um ihn kümmerte, er musste sich nicht mehr allein durchschlagen. Welche Sorgen konnte dieser Junge schon haben?
»Mir scheint zudem«, hatte Fräulein Sommerkamp nach einem Moment des Zögerns hinzugefügt, »dass er manchmal recht hungrig ist.«
Mathilde war vor Empörung rot angelaufen und hatte der Lehrerin aufgezählt, wie viel Essen sie für den Jungen kochte. Eintöpfe, Frikadellen, sogar Koteletts und Bratkartoffeln. Dazu Kuchen und abends eine heiÃe Schokolade. »Und ich gebe ihm jeden Tag drei groÃe Pausenbrote mit.«
»Wie merkwürdig«, murmelte die Lehrerin. »Ich sehe ihn in der Pause nie etwas essen.«
Diese Auskunft gab Mathilde Rätsel auf, und sie nahm sich vor, Oliver bei nächster Gelegenheit zur Rede zu stellen. Nur ergab sich eine solche Gelegenheit nie. Mathilde war viel zu selten zu Hause. In ihrer kargen Freizeit half sie dabei mit, den »Dreimaster« auf Vordermann zu bringen. Persönlich war sie zwar der Meinung, dass Greta sich da wieder einmal in eine verrückte Idee verrannt hatte, aber andererseits war schon Gretas Arbeit als Leihköchin durchaus als erfolgreich zu bezeichnen, und inzwischen traute Mathilde ihrer Nichte so ziemlich alles zu.
Aber Oliver, ja, Oliver bereitete ihr inzwischen schlaflose Nächte. Der Junge war auch gar nicht mehr so zugänglich wie in den ersten Wochen, nachdem sie ihn zu sich genommen hatte. Sie waren vor einem Monat in die Wohnung seiner Eltern umgezogen, da Mathildes Behausung einfach zu klein für zwei Personen war. Dort
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