Die Tortenkönigin: Roman (German Edition)
Haarausfall. Oder er vergriff sich einmal an einer Frau, die einen gewalttätigen, eifersüchtigen Partner hatte, der dann Leon auflauern und krankenhausreif prügeln würde …
Natürlich war das albern und kindisch, aber es half mir. Allmählich wurden meine Eintragungen differenzierter, und ich fing an, mich mit mir und meinen Gefühlen zu beschäftigen, statt meine Energie damit zu vergeuden, Leon die Pest an den Hals zu wünschen. Langsam erkannte ich, wie segensreich das Führen eines Tagebuchs sein konnte, indem ich in mich hineinhorchte und nach Möglichkeiten forschte, wie es mir besser gehen könnte.
Ich gewöhnte mir an, täglich spazieren zu gehen.
Jeden Tag dachte ich an den Aidstest und die möglichen Folgen für mein Leben, sollte er positiv sein. Wann immer meine Gedanken in diese Richtung gingen, wurde ich wütend, wer wollte mir das verdenken? Wie hatte Leon mich derart in Gefahr bringen können?
Eines Tages – ich wollte gerade wieder fluchtartig aus meinem Elternhaus stürzen – hielt mein Vater mich auf und zog mich in die Backstube.
Ich verschränkte die Arme vor der Brust wie ein bockiges Kind und zappelte ungeduldig herum, denn ich wollte nicht reden.
Mein Vater räusperte sich und sagte: »Hast du Lust, mal wieder zu backen?«
»Brauchst du meine Hilfe?«
Er schüttelte den Kopf. »Nicht unbedingt. Ich dachte, du hättest vielleicht Spaß daran, unser Angebot zu erweitern. Jetzt kommen doch bald die Urlauber, und das ist die beste Zeit für Experimente.«
Ich glaubte, meinen Ohren nicht trauen zu können. Was war denn mit meinem Vater los?
Fast war ich versucht, nach der großen, hölzernen Teigrolle zu greifen, in Kampfposition zu gehen und zu rufen: »Wer sind Sie und was haben Sie mit meinem Vater gemacht?«
Ich konnte nichts sagen.
Nichts wünschte ich mir mehr, als endlich wieder in der Backstube zu stehen, kreativ zu sein und meine Fantasie in sinnvolle Bahnen zu lenken – und als es mir angeboten wurde, war ich sprachlos.
Unter meinem starren, fassungslosen Blick wurde mein Vater verlegen. Er errötete, wandte sich ab und brummte: »Na ja, ich dachte ja nur …«
Mein Herz floss über. Mein Vater, dieser grimmige Mann, hatte nett zu mir sein wollen, und ich glotzte ihn nur stumm an. Natürlich dachte er, ich wolle seinen Vorschlag nicht annehmen, und schämte sich jetzt dafür.
»Paps?« Meine Stimme klang heiser, so gerührt war ich von seiner Geste.
Er sah mich an. »Ja, mein Mädchen?«
Mein Mädchen! Man stelle sich das vor! So hatte er mich noch nie genannt.
Meine Augen wurden feucht, und ich schniefte: »Ich würde furchtbar gern hier mit dir zusammen arbeiten, Paps.«
Sein Gesicht leuchtete auf. Spontan ging ich zu ihm und umarmte ihn. »Danke, Paps.«
Er strich mir unbeholfen über die Haare und sagte: »Du siehst so traurig aus, Helene. Das kann ich gar nicht gut haben.«
Du liebes bisschen! War ich in einem Paralleluniversum gelandet? Niemals hätte ich gedacht, dass mein Vater so etwas überhaupt auch nur registrierte, geschweige denn, sich überlegte, was er tun könnte, damit es mir besser ginge. Innerlich leistete ich Abbitte.
»Ich bin auch ziemlich traurig, Paps«, gab ich zu.
»Es muss schlimm für dich gewesen sein, deinen Plan in Paris aufzugeben«, murmelte er.
Ich nickte, und wir lösten uns voneinander.
»Das kann ich gar nicht gut haben«, wiederholte er düster.
»Ist schon gut, wirklich. Nur manchmal tut es mir weh, wenn ich daran denke«, untertrieb ich maßlos.
»Das dachte ich mir. Du kannst hier arbeiten, wann immer du willst, ob alleine oder mit mir zusammen. Du hast doch immer so außergewöhnliche Ideen gehabt, und es wäre schade, wenn du das nicht weiter entwickeln würdest.«
Wow! Das wurde ja immer unheimlicher. »Hat Oma mit dir gesprochen?«, forschte ich nach.
Er sah ehrlich erstaunt aus. »Oma? Wie kommst du darauf?«
Weil es das Einzige ist, was mir als Erklärung für dein Verhalten einfällt, dachte ich und schämte mich ein bisschen.
»Ist Mama einverstanden?«
Er runzelte die Stirn. »Es ist meine Entscheidung, wenn ich dich in meiner Backstube haben möchte, Helene.«
Auweia. Entweder hatte er es mit der strengen Waltraud bereits ausgefochten, oder sie wusste noch nichts davon. Ich sah das Verhältnis zwischen meinen Eltern plötzlich in einem neuen Licht. Mein Vater bestimmte, was geschah? Ich hatte immer gedacht … aber egal.
Ich lächelte und sagte: »Morgen besprechen wir alles, ja? Ich habe
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