Die Tortenkönigin: Roman (German Edition)
ihr von einer oder zwei besonderen Torten für sonntags?«, schlug ich vor. »Schön hoch und üppig. Mit besonders viel Obst und einer ungewöhnlichen Creme in der Mitte. Vielleicht mal ganz dezent gewürzt, nichts Übertriebenes. Und für wochentags Petit Fours. Das gibt uns die Möglichkeit, alternative Geschmacksrichtungen auszuprobieren und zu sehen, was besonders gut läuft.« Jetzt kam ich richtig in Fahrt und dozierte: »Die klassischen französischen Petits Fours haben zwei Schichten Creme und einen Marzipandeckel. Dann werden sie noch mit Fondant überzogen. Bei den Cremes – aber das muss ich euch nicht erklären – gibt es Hunderte Möglichkeiten, mit Alkohol oder ohne … Aber ein Petit Four ist nichts weiter als ein kleiner Kuchen, und heutzutage ist alles möglich. Es können auch einfach sehr kleine Obsttörtchen sein, oder sie sind mit Schokolade überzogen. Das bietet unseren Kunden die Möglichkeit, sich nicht für ein großes Stück Torte entscheiden zu müssen, sondern stattdessen zwei oder drei verschiedene Petits Fours zu nehmen.«
Ich verstummte abrupt, weil mir meine kleine Zuckerbäckerei in Paris in den Sinn kam. Genau diese Dinge hatte ich dort anbieten wollen.
Oma schien meine Gedanken lesen zu können, denn sie sagte: »Aber das Gute ist doch, dass du schon so viele Ideen im Kopf hast, oder? Vielleicht können wir deinen Traum ja hier gemeinsam verwirklichen, was meinst du?«
Ich nickte nur, weil es mir vor Rührung schlicht die Sprache verschlagen hatte.
Eine Zeit lang schwiegen wir, dann räusperte mein Vater sich und sagte: »Schreib mir auf, was du an Werkzeug benötigst. Und dann kann es losgehen.«
»Nicht nötig«, verkündete ich triumphierend, »ich habe alles, was ich brauche. Wenn du mir in der Backstube ein Eckchen zuteilst, kann ich sofort anfangen.«
Wir beschlossen, dass ich meinen Utensilienkoffer sofort holen sollte. Meine Oma gab mir ihr Auto, und ich sauste zu meinem neuen Zuhause und warf den großen Koffer mit meinem Equipment auf den Rücksitz. Ich hätte singen können vor Freude. Endlich wieder arbeiten – endlich wieder Ablenkung! Ich wollte raus aus dem tiefen, schwarzen Loch, in dem ich hockte, seit ich von Marcel die ganze, brutale Wahrheit erfahren hatte.
Kein Mann sollte mich je wieder so weit bringen, dass ich an mir und an meinem Leben zweifeln würde, nahm ich mir vor, als ich zurück zu unserer Konditorei fuhr.
Paps arbeitete an einer Torte, als ich die Schwingtüren zur Backstube aufstieß.
Er deutete auf einen Arbeitstisch aus Metall. »Das ist deiner. Die Schubladen habe ich geräumt.«
Das war perfekt. Ich wäre schon zufrieden gewesen, hätte ich meinen Koffer in eine Ecke stellen können. Aber so … das gab mir die Möglichkeit, mich zu jeder Tages- und Nachtzeit hier auszubreiten.
»Wie wollen wir das denn zeitlich regeln, Paps? Ich habe ja noch vorn im Laden meinen Dienst, und wenn die Urlauber ab nächste Woche hier einfallen, wird das nicht weniger werden. Vielleicht kann ich nur nachts etwas machen.«
»Wir werden für die Saison eine Aushilfe einstellen«, sagte mein Vater. »Du kannst dir aussuchen, ob du vormittags oder nachmittags in den Laden möchtest.«
»Ich weiß nicht … was denkst du denn?«
»Du kannst es auch flexibel halten, wenn dir das lieber ist. Zumindest, solange hier Schulferien sind, denn die Aushilfe wird mit Sicherheit eine Schülerin sein, wie in den letzten Jahren auch. Wenn die Schule hier wieder anfängt, wird deine Mutter dich natürlich vormittags brauchen.«
»Was sagt Mama dazu?«, entfuhr es mir. Eigentlich ging es mich ja nichts an, wie meine Eltern das untereinander regelten, aber ich wollte vorbereitet sein, wenn Gottes Zorn in Gestalt meiner Mutter über mich hereinzubrechen drohte.
Mein Vater lächelte. »Dazu habe ich mich doch vorhin schon geäußert, oder?«
Ich nickte. »Du bist hier der Chef, ich weiß. Und Oma ist ja auch einverstanden. Aber ich möchte nicht, dass du deswegen Stress mit Mama hast.«
»Ich doch nicht. Und wenn deine Mutter sich Stress machen will …« Er zuckte mit den Achseln, und es war klar, was das bedeutete: »… dann ist das ihr Problem.«
Ich sah ihn zweifelnd an. Ob er sich das nicht ein bisschen zu einfach vorstellte?
Was, wenn die gnadenlose Waltraud ihm fortan das Leben zur Hölle machte? Daran wollte ich nicht schuld sein, auf keinen Fall.
»Lass deiner Mutter einfach Zeit, Helene. Du weißt doch, wie sie ist, sie kann einfach nicht anders.
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