Die Tortenkönigin: Roman (German Edition)
Kladden voller Ideen zu Hause, wenn du Lust hast, bringe ich sie morgen mit.«
Er nickte, und damit war ich entlassen.
Wie im Traum radelte ich nach Hause. Ich konnte immer noch kaum glauben, was da gerade zwischen meinem Vater und mir passiert war.
Ich spürte mein Blut durch meine Adern fließen, ich merkte, wie meine Laune sich hob und dass ich mich, zum ersten Mal seit Wochen, auf den nächsten Tag freute.
Unnötig zu erwähnen, dass Marie auf meinen Stimmungsumschwung mit großer Erleichterung reagierte. Die Ärmste! Was hatte sie während der letzten Wochen aushalten müssen und wie sehr hatte sie sich um mich bemüht.
Als sie an jenem Abend von der Arbeit kam, fand sie mich nicht, wie sonst, in meinem Bett vor, sondern in der Küche, wo ich dabei war, unser Abendessen zuzubereiten.
Kaum war sie zur Tür hinein, als ich auch schon auf sie einschnatterte und ihr haarklein von der Szene mit meinem Vater erzählte.
Meine Rezeptkladden wollte sie natürlich sofort sehen. Wir hockten uns auf die Terrasse, und ich zeigte ihr meine Lieblingskreationen.
»Du bist ja eine Künstlerin«, sagte sie ehrfürchtig.
Ich winkte lachend ab.
»Blödsinn. Ich habe einfach Spaß daran, schöne Dinge zu kreieren. So eine blöde Sahnetorte, wie sie in Tausenden Bäckereien in der Auslage steht, überall exakt gleich aussehend … wer will denn das? Und alles schmeckt gleich! Manchmal wüsstest du doch nicht einmal, ob du gerade Rhabarber-oder Stachelbeerkuchen isst, wenn du die Augen verbunden hättest. Alles ist überzuckert und beliebig. Torten müssen aufregend sein, dramatisch, der schönste Schmuck einer gedeckten Tafel. Ich möchte Torten und Gebäck inszenieren wie Gemälde, verstehst du? Mit turmhoch gehäuften Früchten und delikatesten Cremes, mit überraschenden Geschmackserlebnissen durch Gewürze, die niemand erwartet, strotzend von Farbe und Leben. Ach, ich freue mich so!« Ich holte tief Luft, denn ich war von meiner dramatischen Rede ganz atemlos.
Marie lachte. »Du hast ja richtig rote Wangen! Das nenne ich echte Leidenschaft. Warte mal ab, du wirst mit deinen Torten noch Karriere machen. Irgendjemand wird dich entdecken, und du wirst Deutschlands berühmteste Tortenkönigin.«
»Ja, genau. Und dann beherrsche ich irgendwann die Welt. Sag mal, leihst du mir noch mal dein Auto? Morgen früh?«
»Gesundheitsamt?«
Ich nickte. Mir war nicht wohl bei dem Gedanken.
»Soll ich mitkommen?«
Sollte sie? Oder wollte ich mich lieber allein durch den Termin zittern, der mein restliches Leben verändern könnte? Ich spürte, wie mir der Schweiß auf die Stirn trat.
»Ich komme mit«, sagte Marie resolut, »keine Widerrede.«
KAPITEL 18
Der Termin beim Gesundheitsamt am nächsten Morgen dauerte genau drei Minuten.
Ich war heilfroh, mich dem nicht allein stellen zu müssen, denn ich schlotterte vor Angst, als ich endlich das Ergebnis des Tests erfahren sollte. Marie hielt meine Hand. Als mir mitgeteilt wurde, dass ich nicht infiziert sei, fing ich an zu weinen, so erleichtert war ich.
»Oh Gott, ich weiß nicht, was ich gemacht hätte, wenn das Ergebnis positiv …«, schluchzte ich auf der Heimfahrt.
»Schnee von gestern«, sagte Marie fröhlich, »darüber musst du dir jetzt keine Gedanken mehr machen. Freu dich lieber, dass du gesund bist. Wenn wir jetzt nicht zur Arbeit müssten, würde ich glatt eine Flasche Schampus springen lassen. Und hör bitte endlich auf zu heulen, das hält ja kein Mensch aus.«
Sie drehte die Musik lauter.
Meine Marie, dachte ich und grinste. Meine Tränen waren versiegt. Ihr letzter Satz klang zwar nicht gerade liebevoll, aber sie hatte natürlich recht. Ich wusste ja, wie sehr sie während der letzten Wochen mit mir gelitten und gebangt hatte. Oder besser: unter mir gelitten hatte. Unter meinem Liebeskummer, meinem Gejammer und Geheule. Und ich liebte sie dafür, dass sie es genau so lange aushielt, wie es nötig war, und mir dann die rote Karte zeigte.
Während der Mittagspause saß ich mit Paps und Oma am Küchentisch und zeigte ihnen meine Kladden.
Paps schüttelte manchmal amüsiert den Kopf, wenn er auf eine besonders exzentrische Kreation stieß, aber Oma flippte schier aus.
Genau wie Marie am Abend zuvor sagte sie: »Du bist ja eine Künstlerin, Helene. So viel Talent, so viel Fantasie … wunderbar.«
Meine Mutter kam herein, warf einen flüchtigen Blick auf meine Fotos und runzelte die Stirn.
»Das mag in Paris möglich sein, aber hier … das sehe
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