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Die Tortenkönigin: Roman (German Edition)

Die Tortenkönigin: Roman (German Edition)

Titel: Die Tortenkönigin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Conrad
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wieder.
    »Was? Was ist mit Leon? Helene, sprich zu mir! Du machst mir Angst!«
    Ich stand auf und stakste wie ein Roboter an Marie vorbei aus dem Raum und hielt erst an, als ich an einem Spiegel vorbeikam und sah, dass ich die blöde Waschbärenbrille noch immer trug. Ich riss mir das Ding vom Gesicht und warf es mit einem Schrei gegen den Spiegel. Mein Gesicht war grau, meine grünen Augen riesig und schwarz.
    Marie erschien neben mir und legte behutsam den Arm um mich. Mit sanftem Druck dirigierte sie mich durchs Wohnzimmer bis zum Sofa. Kraftlos sank ich auf den Sitz.
    Schorsch, plötzlich ganz sensible Katze, kam zu mir getapst und stieß mich mit dem Kopf an. Als ich nicht reagierte, hob er die Pfote und legte sie ganz zart auf meine Hand.
    Marie goss mir frischen Tee ein und schob die Tasse zu mir.
    »Trink. Und dann möchte ich wissen, was passiert ist, hörst du?«
    Meine Hände bebten, als ich nach der Tasse griff, aber das heiße, starke Getränk tat mir wirklich gut.
    »Hast du Marcel erreicht?«, fragte Marie.
    »Ja.« Ich umklammerte die Tasse so krampfhaft, dass meine Fingerknöchel weiß wurden.
    »Hey, hey, nicht die Tasse zerquetschen«, sagte Marie, beugte sich über den Tisch, entwand mir behutsam den Porzellanbecher und stellte ihn in sicherer Entfernung von mir auf den Tisch.
    Ich krallte meine Hände in Schorschs Fell, der mir mittlerweile auf den Schoß geklettert war, holte tief Luft und erzählte Marie, was ich gerade von Marcel erfahren hatte.
    Nachdem ich – schluchzend – geendet hatte, sah Marie mich ernst an. Dann sagte sie: »Du machst einen Aidstest.«
    Mir wurde übel.

KAPITEL 17
     
    Am nächsten Tag nahm ich mir frei und fuhr mit Maries Auto nach Wilhelmshaven. Ich ging ins Gesundheitsamt und fragte dort nach einem Aidstest. Man erkundigte sich nach den Gründen, und ich erzählte wahrheitsgemäß, dass ich gerade von der ohne mein Wissen ausgelebten Bisexualität meines Expartners erfahren hatte. Ob er geschützten Verkehr …? Keine Ahnung. Ich hätte es nicht erzählen müssen, es stand mir frei, diese Frage zu beantworten oder nicht. Seltsamerweise aber beruhigte es mich, mit dieser freundlichen, routinierten Frau darüber zu sprechen. Alles Weitere geschah rasch, anonym und unbürokratisch: Sie nahm mir Blut ab und bat mich, in zwei Wochen wieder vorbeizukommen.
    An die folgenden Wochen habe ich kaum eine konkrete Erinnerung.
    Marcels Enthüllung hatte mich in tiefste Depressionen gestürzt, und meinen Dienst in der Konditorei erledigte ich nur unter größten Mühen. Ich gab vor, zu kränkeln und mich körperlich schlecht zu fühlen, um mein blasses Gesicht zu erklären, ging aber trotzdem jeden Tag zur Arbeit.
    Mein Glück war, dass meine Eltern mich noch immer nicht ganztägig brauchten, und so stürmte ich aus dem Laden, sobald meine Mutter mich entließ.
    Immer wieder fing ich den fragenden Blick meiner Großmutter auf, aber sie schrieb mein trauriges Aussehen der Trennung zu, die ich gerade hinter mir hatte.
    Vor den Kunden riss ich mich zusammen und zwang mir ein fröhliches Lächeln ins Gesicht, was mir nicht gerade leicht fiel. Sobald der Laden leer war, fiel ich in mich zusammen und betete stumm um Fassung.
    Marie kümmerte sich liebevoll um mich.
    Immer wieder zerrte sie mich aus dem Bett, in das ich mich verkroch, sobald ich frei hatte, und zwang mich zu Radtouren und langen Spaziergängen, auf denen ich ihr mein Herz ausschütten durfte. Sie ertrug mit engelsgleicher Geduld, dass meine verheulten Monologe sich höchstens in Details unterschieden, oder dadurch, dass ich mal verzweifelt, mal rasend vor Wut war.
    Sie bekochte mich mit meinen Lieblingsspeisen, schleppte stapelweise DVDs mit Komödien an und versuchte unermüdlich, mich aufzumuntern. Sie schenkte mir eine schön gebundene Kladde, die ich dazu benutzen sollte, meine Gedanken aufzuschreiben.
    Anfangs zerrissen die Seiten beinahe unter meinem Stift, mit dem ich wütende Verwünschungen und Flüche aufs Papier fetzte. Ich wollte, dass Leon litt, dass irgendetwas passierte, dass es ihn so zu Boden schmetterte, wie ich zu Boden geschmettert war.
    »Ich wünsche mir, dass er seine Stimme verliert«, schrieb ich einmal in die Kladde, weil es das Schlimmste war, das ich mir für ihn vorstellen konnte. Ich verbrachte viel Zeit damit, mir derlei Dinge auszudenken, meine Fantasie lief Amok. Eine Krankheit, die ihn, den Adonis, verunstaltete. Ein Hautausschlag im Gesicht, vielleicht. Oder galoppierender

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