Die Tote am Watt: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
Rückreise würden sich die Dimensionen wieder dehnen, der Himmel würde sich öffnen für die Helligkeit, die auf der Insel auch aus grauem Himmel strömte.
Es war Ebbe. Reusen ragten aus dem Schlick, in das die Wellen ihr Relief geprägt hatten, ein paar Strandläufer staksten hindurch, Möwen schrien ihnen Befehle zu, aber als sie nicht befolgt wurden, legten sie sich auf den Wind, spreizten die Flügel und ließen sich treiben. Felix behauptete, die Möwen lachten alle aus, die nicht fliegen konnten.
In dem braunen Schlick da draußen würde es bald zu glucksen und zu rieseln anfangen, Millionen winziger Bläschen würden aufsteigen und zerplatzen. Dann würde ein See daraus, friedlich und klar, und schließlich das Meer, dunkel und bedrohlich am Abend, stolz und majestätisch am Tag.
Erik und Sören schwiegen beide. Wenn es um die Liebe zu ihrer Insel ging, waren sie sich sehr ähnlich. Deswegen sprachen sie erst, als der Autozug ins Land stach, als die ersten Häuser sich am Bahndamm aufstellten und die Niebüller Verladerampe in Sicht kam.
»Ich möchte wissen, wo meine Schwiegermutter ist«, murmelte Erik. »Ich habe zu Hause angerufen, um Bescheid zu sagen, dass ich nicht zum Mittagessen komme. Aber niemand hat abgenommen.«
Der Weg nach Husum dauerte nicht länger als eine Stunde. Die graue Stadt am Meer machte ihrem Namen alle Ehre. Nieselregen setzte ein, die dunklen Fassaden der alten Häuser schluckten das Licht, und obwohl es früher Nachmittag war, schien die Dämmerung schon über die graue Stadt hereinzubrechen.
Der große Block, in dem Björn Mende seine Wohnung hatte, lag in der Nähe des Bahnhofs, dicht umringt von parkenden Autos. Es war schwierig, einen Parkplatz zu bekommen, und es gelang nur, weil Erik einem Streifenpolizisten seinen Dienstausweis unter die Nase hielt. Daraufhin wurde ihm erlaubt, den Wagen im Hof einer Döner-Bude abzustellen, deren Besitzer großen Wert auf gute Kontakte zur Polizei legte.
Die Wohnung lag im Erdgeschoss, auf Sörens Klingeln wurde nicht geantwortet.
Erik sah an der Fassade hoch. »Wer wird uns Auskunft geben können?«
»Die Husumer Kollegen haben mit dem anderen Erdgeschossmieter gesprochen«, erklärte Sören zögernd.
»Also könnten wir es in den oberen Etagen probieren.« Aber bevor Erik den Finger auf eine Klingel setzen konnte, ertönten hinter ihnen Schritte, ein Fahrrad klapperte, der Ständer, der ausgeklappt wurde, quietschte. Der Postbote!
»Tut mir leid«, sagte er, als er Eriks und Sörens erwartungsvollen Blick bemerkte. »Ich bin heute spät dran.«
Erik und Sören nickten verständnisvoll, sahen zu, wie der Postbote auf einige Klingelknöpfe drückte, und folgten ihm ins Haus, als der erste Türdrücker summte. Während der Briefträger die Sendungen in die Postkästen verteilte, öffnete Sören die Kellertür und winkte seinem Chef, ihm zu folgen. Erik hätte ihn gern zurückgehalten, wollte aber in Gegenwart des Postboten keine Diskussion beginnen. Erst auf der Kellertreppe fragte er flüsternd: »Was haben Sie vor?«
»Vielleicht hat Mendes Wohnung einen Balkon«, gab Sören leise zurück. »Dann können wir leicht in die Wohnung einsteigen.«
»Sind Sie verrückt? Das können wir doch nicht machen.«
»Natürlich nur, wenn es keiner sieht.«
Erik folgte seinem Assistenten kopfschüttelnd, dann stand er neben ihm auf dem gepflasterten Innenhof, über den sich ein Gewirr von Wäscheleinen spannte. »Wir können doch nicht einfach hier einbrechen«, versuchte er es noch einmal. »Wir sind hier, um die Nachbarn zu befragen.«
»Das haben doch die Kollegen schon getan.«
»Aber sicherlich nicht intensiv genug. Sie wissen doch selbst, Sören, wie das ist, wenn es sich nicht um den eigenen Fall handelt. Dann tut man seine Pflicht, aber nicht mehr.«
»Wie wär’s, wenn Sie wieder nach vorn gehen und in fünf Minuten bei Björn Mende klingeln?«, fragte Sören gereizt. »Ich habe als Kind so oft den Schlüssel verloren, dass meine Eltern mir schließlich keinen mehr überlassen haben. Es ist erstaunlich, dass ich mich daraufhin für den Polizeidienst und nicht für eine Einbrecherkarriere entschieden habe.«
Erik drehte sich wortlos um und stieg wieder in den Keller hinab. Als er ins Erdgeschoss hochgehen wollte, öffnete sich oben die Tür, und ein junger Mann erschien, der ein leichtes Rennrad auf der Schulter trug. Er sah Erik misstrauisch an, nickte dann aber vertrauensvoll, als Erik höflich grüßte. Er hätte gern
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