Die Tote am Watt: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
seinen Dienstausweis gezückt und die Gelegenheit zu einer Befragung genutzt, fühlte sich aber derart unwohl am Fuß dieser Kellertreppe, dass er darauf verzichtete. Was hätte er antworten sollen, wenn man ihn gefragt hätte, warum ein Kriminalhauptkommissar mit seinen Vernehmungen im Keller eines Hauses begann?
Aus sämtlichen Briefkästen guckten bunte Werbesendungen heraus, der Postbote war nicht mehr zu sehen. Erik drückte auf den Klingelknopf, neben dem das Schild Björn Mende prangte.
Sören öffnete wenige Augenblicke später und ließ Erik eintreten. »Die Schlösser in diesen alten Häusern sind wirklich ein Witz«, sagte er.
Erik antwortete nicht. Am liebsten hätte er so getan, als wüsste er gar nicht, wovon Sören redete, und als müsste er auch nicht durchschauen, wie Sören in die Wohnung gelangt war.
Langsam ging er von einem Zimmer ins andere. Eine typische Zweizimmerwohnung, Wohn- und Schlafzimmer, Küche und Bad. Wie in vielen Erdgeschosswohnungen waren die Räume düster, die Fenster ließen nur wenig Tageslicht herein. Ein Poltern aus der ersten Etage und eine schrille Stimme zeigten, dass dieses Haus außerdem sehr hellhörig war.
»Mende hat immerhin ein eigenes Bad«, sagte Erik und ergänzte trocken: »Und in der Badewanne liegt er nicht.«
Die Ausstattung der Wohnung war wirklich bescheiden, rohe Holzdielen, die bei jedem Schritt knarrten, Leitungen, die über Putz verlegt waren und das Muster der Tapete durcheinanderbrachten, Ausbesserungen, für die man das Material verwendet hatte, das gerade zur Hand war.
Die Möbel unterschieden sich jedoch gründlich von den vier Wänden, in denen sie standen. Relikte aus einer anderen Welt. Möbelstücke, die Björn Mende wahrscheinlich aus dem Haus seines Vaters in Dortmund geholt hatte.
»Warum wohnt er nur in dieser Gegend?«, fragte Erik. »Er muss doch seinen Vater beerbt haben. Und das Erbe kann nicht gering gewesen sein.«
Sören zuckte die Schultern und ging ins Schlafzimmer. »Es ist alles aufgeräumt«, rief er über die Schulter zurück. »Überstürzt hat er das Haus nicht verlassen. Eher so, als wüsste er, dass er eine Weile wegbleiben wird.«
Erik folgte Sören ins Schlafzimmer, das mit Chippendale-Möbeln ausgestattet war, die nicht zu einem jungen Mann passen wollten. »Er ist doch noch nicht einmal dreißig«, murmelte Erik. »Und dann solche Möbel?«
»Ich wette, dass sie mal im Schlafzimmer einer Frau gestanden haben«, sagte Sören. »Vielleicht in dem seiner Mutter?«
Erik nickte. Ja, diese geschwungenen, zierlichen Beine, das zarte Korbgeflecht am Fuß und Kopfteil des Bettes, die Frisierkommode, der Spiegel mit dem reich verzierten Rahmen … Sören hatte Recht. Diese Schlafzimmermöbel hatten einmal einer Frau gehört.
Sören beugte sich über das Bett, um die gerahmten Fotos, die darüber angebracht waren, besser betrachten zu können. Plötzlich pfiff er durch die Zähne. »Sehen Sie sich das an, Chef! Die Frau auf diesem Foto! Die kennen wir doch!«
Erik trat einen Schritt näher, beugte sich ebenfalls vor und strich nachdenklich seinen Schnauzer glatt. Endlich gab es eine Spur! Eine richtige Spur! Er spürte das Vibrieren, das ihn immer erfüllte, wenn er eine Fährte aufnahm. Lange betrachtete er das Bild, das eine hübsche Frau zeigte, die in die Kamera lächelte.
»Das ist ja ein Ding! Woher kennt Björn Mende sie?«
Mamma Carlotta sah heimlich auf die Uhr. Sie war längst fertig mit ihrer Arbeit, hatte es aber bisher nicht übers Herz gebracht, Björn mit dem Laden allein zu lassen. Doch nun wurde es Zeit. Sie wollte vor den Kindern, vor allem vor Erik, zu Hause sein.
»Wo die Andresens nur bleiben?«, fragte sie und hoffte, dass Björn an diesem Seufzer ihre Zeitnot erkannte, sich aber andererseits nicht fragte, warum eine gelangweilte Touristin wie sie es eilig hatte.
»Gehen Sie nur, Signora Rocchi«, sagte er zum Glück. »In der Mittagszeit ist ja sowieso nichts los. Ich denke, ich kann den Laden auch bis drei zumachen.«
Mamma Carlotta hatte gerade ihre Schürze an den Nagel gehängt, da öffnete sich die Tür. Ulla kam als Erste herein, die Augen rot vom Weinen, den Kopf gesenkt. Die Hand ihres Mannes, die über ihrer Schulter schwebte, schüttelte sie schon ab, bevor sie sie spürte. Ohne ein Wort durchtrennte sie den Perlenschnurvorhang.
Björn sah ihr ängstlich nach, dann wandte er sich an Wolf Andresen. »Was ist mit Saskia?«
Andresen hob die Schultern, ließ sie wieder fallen,
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