Die Tote auf dem Opferstein: Kriminalroman
Öffnungszeiten auf der Tür Glauben schenken darf, hatte der Friseur bis acht Uhr abends geöffnet«, sagte Robban.
»Aber da war Frau Wilson noch wach, und es war auch noch kein Kopf aufgetaucht«, fügte Karin hinzu.
»Sie sagte, sie wäre kurz vor neun zuletzt draußen gewesen. Insofern können wir später mit dem Friseur sprechen.«
Sie gingen weiter. Vom Spielplatz gegenüber der weißen Kirche war fröhliches Kinderlachen zu hören. Robban betrachtete die Kinder auf der Rutsche.
»Bald kommt im Kindergarten die Erkältungszeit.« Er klang bedrückt. Karin staunte manchmal, wie schnell seine Gedanken zwischen Arbeit und Privatleben hin- und herwanderten. Sie selbst war zu hundert Prozent konzentriert, wenn sie ermittelte. Vielleicht war das so, wenn man Kinder hatte, dachte sie dann. Dass man immer in erster Linie Vater oder Mutter war, egal mit was für grauenhaften Dingen man sich in der Arbeitszeit auseinandersetzen musste. Sie war über dreißig und hatte keine Aussichten auf eigene Kinder und im Moment noch nicht einmal eine feste Beziehung. Das tat ein bisschen weh. An der verglasten Anschlagtafel der Kirche hing ein Foto von einem strahlenden Brautpaar, das sich mit ausgestreckten Händen vor den Reiskörnern schützte, mit denen ebenso glückliche Verwandte und Freunde sie bewarfen. Die Aufforderung:»Heiraten Sie in der Kirche von Marstrand!« kam Karin wie blanker Hohn vor, und sie bemühte sich, an etwas anderes zu denken.
»Ja, ja, damit kannst du dich beschäftigen, wenn es so weit ist«, sagte Karin teilweise zu sich selbst, aber auch zu Robban. »Du musst zugeben, dass es ein besonderes Gefühl ist, über diese Steine zu gehen«, fuhr sie nach kurzem Schweigen fort und blickte auf die schwarzen Schieferplatten, die links neben dem Kopfsteinpflaster der Långgatan wie ein spezieller Fußweg verliefen.
»Du meinst wohl ein holpriges.« Robban stolperte theatralisch.
»Nein, ich meine all die Menschen, die vor uns hier herumgelaufen sind. Vor hundert, zweihundert oder sogar dreihundert Jahren. Sieh dir mal die alte Holztür da drüben an. Was die alles erzählen könnte! Über die Menschen, die hier gewohnt haben, ihr Leben und ihre Träume.«
»Ich weiß schon, was du meinst. Vielleicht hat sie einen Mörder gesehen, der gerade jemanden umgebracht und anschließend kaltblütig den Kopf abgeschnitten hat, um ihn im Garten einer alten Dame zu platzieren. Vielleicht ist er genau hier vorbeigekommen.«
»Meinst du, der Ort wurde zufällig gewählt, oder hat er wohl irgendeine Bedeutung?« Karins Blick war auf das silbrig glänzende Wasser in der nördlichen Hafeneinfahrt von Marstrand gerichtet.
»Gute Frage. Man fragt sich ja, womit Frau Wilson verdient hat, dass ihr jemand einen Kopf in den Garten setzt. Die Damen waren beide nicht direkt charmant. Fräulein Hedvig Strandberg … Also, ich sage nur so viel: Es wundert mich nicht, dass sie ein Fräulein geblieben ist. Der Opferstein erscheint mir schon allein wegen des Namens nicht zufällig gewählt zu sein, aber der Garten der alten Tante, ich weiß nicht.«
»Ich glaube, wir müssen die Geschichte hinter dem Opferstein herausfinden. Warte mal! Hundert Meter hinter uns, im Erdgeschoss des Rathauses, liegt die Bibliothek, sie könnte einen Besuch wert sein.«
Zwanzig Minuten später besaß Karin einen Bibliotheksausweis der Kommune Kungälv und kam durch die elegante Tür aus Eichenholz und Glas heraus. Ihr Rucksack mit den vier Büchern über Marstrand und drei weiteren über Bohuslän war nun um einiges schwerer. Außerdem hatte die Bibliothekarin zwei CDs für sie herausgesucht, die der Heimatverein Marstrand herausgegeben hatte. Die eine handelte von den Häusern auf Marstrandsön und die andere von den Häusern auf Koön, beigefügt waren Fotos, die Geschichte sowie die früheren und jetzigen Besitzer aller Gebäude.
»Ein Glück, dass du drei Bücher über Bohuslän mitgenommen hast, die werden uns bestimmt unheimlich nützen.« Robban lachte.
»Nützen wird uns, dass der Mann der Bibliothekarin Lotse gewesen ist. Sie hat mir erzählt, dass der Lotsenausguck mittlerweile nicht mehr besetzt ist. Das wissen wir also schon.«
Lotse, dachte Karin dann, das hätte Göran auch machen können, wenn er sich entschieden hätte, an Land zu leben.
Es war kein Problem, den Weg zu finden, den Hedvig Strandberg erwähnt hatte. Er führte hinter das Båtellet, das alte ockergelbe Badehaus neben dem Societetshuset, im Volksmund Sozen
Weitere Kostenlose Bücher