Die Tote auf dem Opferstein: Kriminalroman
Gesicht.
»Jä?«
»Ich habe ihn gefragt, ob er verreisen wolle. Wegen des Koffers, meine ich, aber er hat mir gar nicht richtig geantwortet. Er war überhaupt ziemlich zerstreut.«
»Du bist also mit ihm im Auto gefahren?«, fragte Carsten. Lycke erzählte, dass sie den Bus verpasst und Kristian an der Bushaltestelle gehalten und sie gefragt hatte, ob er sie mitnehmen solle. Sie fügte hinzu, dass er in einem Pickup fuhr, weil sein Mercedes in der Werkstatt war.
Carsten machte sich Notizen. Er fragte nach der Uhrzeit und worüber sie geredet hätten. Lycke versuchte, sich zu entsinnen. »Er hat mich gefragt, wie die Polizei vorankommt, und da habe ich ihm von den Fingerabdrücken erzählt.« Lycke holte tief Luft. »Er scheint Marianne nicht besonders zu mögen.«
Carsten bedankte sich und begleitete Lycke zur Tür. Er kratzte sich am graugesprenkelten Bart. Aus Lyckes Aussage ging hervor, dass sie den Koffer von Marianne Ekstedt gesehen hatte. Tatsache war, dass sie am Tatort im Rosenlund die Fingerabdrücke von Lycke und Askogefunden hatten. Was, wenn Lycke und Asko ein Verhältnis hatten und Marianne beseitigen wollten? Der Polizei lagen ja nur Lyckes Angaben über den Koffer vor, und sie hatte ihn ganz offensichtlich gesehen. Es fragte sich nur, in welchem Zusammenhang. Während des Gesprächs hatte er sie genau beobachtet. Er konnte sich kaum vorstellen, dass sie etwas mit der Sache zu tun hatte, aber ganz sicher konnte man so etwas nie wissen.
Carsten machte ein paar Anrufe, um den Stein ins Rollen zu bringen. Laut Mariannes Kollegin Gisela flog Marianne immer vom Flughafen Landvetter nach London. Es würde eine Weile dauern, die Überwachungskameras aus Landvetter zu überprüfen, aber die Bestätigung der Passagierlisten erhielt er nach zwanzig Minuten. Marianne hatte einen Flug von Göteborg nach London gebucht, hatte ihn aber nie angetreten. War sie überhaupt abgereist?
Dem Rascheln nach zu urteilen, ging Robban ans Telefon. Karin sah ihn förmlich vor sich.
»Sjölin am Apparat. Hallo.«
»Was ist hier los, Robban?«, fragte Karin heiser.
»Wo bist du? Ist alles in Ordnung?«
»Die Kollegen aus Kungälv haben mich gerade geweckt, aber niemand konnte mir erklären, warum. Und wo ist Johan?«
»Wir sind in fünf Minuten bei dir«, sagte Robban. »Dann erkläre ich dir alles.«
»Einverstanden.«
Karin sank zurück auf die Kissen. Sieben Minuten später trat Robban auf die übliche Weise ein. Wie ein Elefant im Porzellanladen bestieg er das Boot und sprang offenbar mit beiden Füßen gleichzeitig auf den Teakfußboden im Cockpit.
»Irgendwann bringe ich dir bei, wie man ein Boot betritt.«
»Aber nicht jetzt.« Er lächelte.
Karin setzte sich auf und hustete, worauf Robbans Lächeln erstarb. Er wich demonstrativ zurück.
»Wollt ihr eine Tasse Tee oder Kaffee?«, fragte sie, nachdem sie sich laut geräuspert hatte.
»Äh …«, begann Robban.
»Ja, gerne.« Folke stieg durch die Luke in die Kajüte. Robban blieb trotz der Kälte draußen stehen. »Kommst du, Robban?«, fragte er.
»Ich habe alle Becher abgeleckt«, sagte Karin zu Robban.
»Wahrscheinlich hast du mich bereits angesteckt.« Er kam nach Folke herein.
»Was ist hier los?«, fragte Karin.
»Nun, wir waren ja auf der Jagd nach diesem Rollenspieler, oder wie man das nennt, namens Esus. Es hat sich herausgestellt, dass die Firma, in der Esus seine Internetidentität erschaffen hat, Sleipner Security heißt.« Robban beobachtete Karin, während er das sagte. »Diese Firma gehört zufällig Johan Lindblom.«
»Johan?«, fragte Karin erstaunt. »Ihr glaubt doch nicht ernsthaft, dass er etwas mit der Sache zu tun hat?«
»Doch, das tun wir«, erwiderte Folke trocken.
»Wir würden ihn zumindest gern danach fragen«, fügte Robban hinzu, um Folkes Bemerkung etwas abzumildern.
»Ihr könnt ihn anrufen und fragen. Als ich einschlief, war er noch hier«, sagte Karin. Sie war ein bisschen enttäuscht, dass er einfach gegangen war, ohne etwas zu sagen.
Robban und Folke sahen sich an.
»Was?«, fragte Karin.
»Das könnte eine Weile dauern. Die Kollegen aus Kungälv bringen ihn gerade in die Stadt.«
Karin warf die Bettdecke von sich und setzte die Füße auf den kalten Kajütenboden. Als sie sich aufrichtete, musste sie sich am Tisch festhalten.
»Seid ihr verrückt? Warum habt ihr mich nicht angerufen?« Sie strich sich über die Stirn und dachte an Johan, der nun in einem Streifenwagen nach Göteborg unterwegs war.
Weitere Kostenlose Bücher