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Die Tote im Badehaus

Die Tote im Badehaus

Titel: Die Tote im Badehaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sujata Massey
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schön unverschämt von ihr, mich wie eine Ausländerin zu behandeln, denn sie hielt mir alle ihre Vorträge auf japanisch. Ich konnte nur zurückschlagen, indem ich ihr eine Kostprobe der überheblichen Sprüche meiner amerikanischen Mutter gab. Betont kühl sagte ich: »Ich weiß, wie man mit einem Gasofen umgeht, und ich weiß, daß der in meinem Zimmer kaputt ist. Ich brauche heute abend einen neuen Ofen oder ein neues Zimmer – Sie haben die Wahl. Hauptsache, Sie haben es erledigt, bis ich wieder zurück bin.«
    Beim Hotel Alpenhof trug ich Mrs. Chapmans viel zu schwere Tasche in den Bus und sorgte dafür, daß sie sich zu einer netten Gruppe älterer Leute aus Kanada setzte. Ich winkte, bis der Bus zu einem verschwommenen roten Fleck vor der Winterlandschaft wurde. Dann war ich allein, und mir ging es schlechter, als ich gedacht hätte.
    Ich mußte etwas tun. Irgend etwas. Wie ein Zombie lief ich durch die Stadt, bis ich auf das Zentrum für Volkskunst stieß, eine Galerie in den Kellerräumen eines alten Kaufmannshauses. Die Kuratoren hatten eine ausgezeichnete Ausstellung organisiert, in der regionale Lackarbeiten aus drei Jahrhunderten zu sehen waren. Ich zwang mich, die schlichte Eleganz der shunkei- Stückezu betrachten, von denen uns Setsuko Nakamura am Silvesterabend im Wohnzimmer erzählt hatte.
    Bei dem Gedanken an sie wurde ich wieder traurig. Wenn ich von Anfang an alles richtig gemacht hätte, hätten wir Vertraute werden können. Ich hätte ihr von der Gruppe in Tokio erzählen können, die Frauen half, unglückliche Ehen zu beenden. Sie hätte nicht in den Schnee, in den Tod hinauslaufen müssen.
     
    Als ich am Nachmittag ins minshuku zurückkam, bekam ich die Zimmertür wieder nicht auf, diesmal von außen. Ich rüttelte daran, bis schließlich ein kleiner, steifer Papierkeil auf den Boden fiel. Ich legte mich auf meinen Futon und faltete das Papier auseinander. Ein Lotte-Kaugummipapier. Woran erinnerte es mich?
    Als es mir wieder einfiel, sprang ich auf und suchte wie eine Wilde in den Taschen der Jeans, die ich die zwei vorangegangenen Tage getragen hatte. Nichts.
    Wahrscheinlich hatte ich das ähnlich kleine Stückchen Papier, das am Neujahrsmorgen in der Badezimmertür steckte, weggeworfen. Aber im Umkleideraum gab es keinen Papierkorb; ich hatte es mitgenommen. Dann hatte ich es noch einmal benutzt. Ich schloß die Augen, rief mir in Erinnerung, wie sich das Papier in den Händen angefühlt hatte, wie ich es auseinandergefaltet hatte, um das Bänkchen für die Eßstäbchen einzuwickeln.
    Ich schaute in die Teedose, in der ich das Bänkchen aufbewahrt hatte. Das kleine Stück Blau-Weiß-Keramik war da, aber das Papierchen fehlte.

8
    Hugh war von dem Sendai-Treffen im Alpenhof noch nicht zurückgekehrt, aber Mr. Yamamoto war wieder da. Er beantwortete meine Fragen über Hughs Verbleib derartig mißmutig, daß ich annahm, er durfte an irgendeiner Besprechung nicht teilnehmen. Es war hart, in einer japanischen Firma der jüngste zu sein, das wußte ich aus Erfahrung. Ich schenkte ihm einen teilnahmsvollen Blick, den er nicht erwiderte.
    Ich ging wieder auf mein Zimmer, kämmte mir die Haare und zog mir den karierten Minirock an, den ich im Zug getragen hatte. Irgendwie verband ich damit noch etwas Schleimiges, aber er würde besser aussehen als meine Jeans mit den Schnee- und Salzrändern. Es war schon fünf Uhr und bereits dunkel; Hugh war wahrscheinlich noch mit seinen Kollegen in die Bar gegangen.
    Ich hatte mich getäuscht. Die Empfangsdame sagte mir, die Leute von Sendai tagten immer noch. Alle Tische waren besetzt, also lehnte ich mich an die kreisförmige hölzerne Bar und trank ein kleines Asahi Super-Dry Bier. Schließlich fand ich einen Platz neben einem Skifahrer mittleren Alters, den mein merkwürdiger Akzent faszinierte – ob ich denn aus Hokkaido oder Umgebung sei? Ich sagte weder ja noch nein, sondern überlegte nur, wie lange ich wohl durchhielt.
    Als ich eine halbe Stunde später durch die Lobby ging, bemerkte mich die Empfangsdame und nickte in Richtung der Aufzüge, wo Hugh und zwei seiner japanischen Kollegen in einer Gruppe standen. Als sich die Türen des Aufzugs öffneten, stiegen alle Männer ein und wandten sich um. Hugh blickte schlichtweg durch mich hindurch, als sich die Türen schlossen.
    Verärgert ging ich wieder in die Bar und ließ mich von dem Skifahrer auf ein weiteres Bier einladen. Eine blöde Idee. Vierzig Minuten später dachte ich mir alle möglichen

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