Die Tote im Badehaus
wundert mich, daß er nicht gleich dort einzieht.« Mr. Yogetsu hörte sich gekränkt an.
Sehr interessant. Ertränkte er seine Sorgen oder hatte er eine Neue? Ich stellte mir ein schlankes japanisches Mädchen in engen Skihosen vor. Ich beendete schleunigst das Gespräch, in der Hoffnung, Mr. Yogetsu würde seine Frau nicht auf die Idee bringen, mich zurückzurufen. Ich rief im Alpenhof an. Als der Barkeeper ans Telefon ging, hörte es sich an, als befände er sich mitten in einer Schlägerei. Ich bat ihn, nach einem Weißen Ausschau zu halten. Er brüllte »Keine gaijin!« in den Hörer und legte auf.
Ich mußte also zuerst Captain Okuhara anrufen und Hugh die Nachricht danach ausrichten lassen. Ich wählte die Nummer auf der Visitenkarte, die mir der Polizeichef gegeben hatte. Ich identifizierte mich dem diensthabenden Beamten gegenüber als die japanisch-amerikanische Frau, die im Minshuku Yogetsu Setsuko Nakamuras Leiche gefunden hatte. Es klickte ein paarmal, und ich dachte schon, ich sei aus der Leitung geflogen, als ich eine Stimme hörte.
»Okuhara.«
»Hier spricht Rei Shimura. Erinnern Sie sich an mich?« fragte ich zögernd.
»Die Amateurübersetzerin. Ich erkenne Ihren Akzent wieder.«
»Ich habe eine Information zu Ihrem Fall.«
»Zu dem Nakamura-Unfall?« Er klang gelangweilt.
»Ich rufe wegen des Autopsieberichts an, der … vielleicht nicht ganz richtig ist.« Ich holte tief Luft und übersetzte das Wichtigste, was Tom mir darüber erzählt hatte.
»Ja, ich weiß, was das Battle-Hämatom ist. Der Gerichtsmediziner hat es nicht erwähnt.« Captain Okuhara klang sehr sicher.
»Aber wir wissen doch, daß sie an diesem Abend zuletzt ein Bad genommen hat«, erinnerte ich ihn. »Wenn sie einen Schlag auf den Kopf bekommen hätte und dann unter Wasser gedrückt worden wäre, dann ist sie vielleicht ertrunken. Erinnern Sie sich, daß sie Wasser in den Lungen hatte und blaue Flecken hinter den Ohren?«
»Wie kommen Sie zu dieser erstaunlichen Schlußfolgerung, Miss Shimura?«
»Diese Analyse stammt von einem Arzt im St. Luke’s. Wenn Sie mir nicht glauben, rufen Sie ihn an! Aber bitte sehen Sie sich um, bevor alle Beweismittel verschwunden sind – sehen Sie sich wenigstens das Bad an …«
»Sie wurde draußen gefunden. Gerade Sie sollten das doch wissen.«
»Ja, ich habe sie unter dem Badezimmerfenster gefunden, ohne daß Fußspuren zu sehen gewesen wären, die zu ihrer Leiche oder von ihr weg geführt hätten. Sie lag mit dem Gesicht nach unten, und das bedeutet, daß es keinen Grund für die blauen Flecke hinter den Ohren gibt. Keinen Grund bis auf die Tatsache, daß jemand sie auf den Kopf geschlagen hat. Denken Sie mal darüber nach!« Ich vergaß die förmliche Sprache, mit der ich das Gespräch begonnen hatte. Ich hatte keine Geduld mehr für Höflichkeitsfloskeln. Ein langes Schweigen folgte.
»Wie sind Sie an den Autopsiebericht gekommen?« Er klang jetzt freundlicher, aber ich war immer noch vorsichtig.
»Jemand hat ihn mir gegeben.«
»Mr. Nakamura war der einzige, der eine Ausfertigung besaß.«
»Mr. Glendinning hat ihn fotokopiert, weil er sich Sorgen machte. Er wußte, daß Mrs. Nakamura sich scheiden lassen wollte. Es besteht aller Grund zu der Annahme, daß ihr Ehemann derjenige war, der sie geschlagen hat.« Da. Jetzt hatte ich es doch gesagt.
Captain Okuhara wollte mehr wissen. Jetzt, wo mir seine vollständige, unkritische Aufmerksamkeit sicher war, sprach ich wieder langsamer, und die Grammatik stimmte auch. Ich erzählte ihm von dem Papier in meiner Tür, dem Gasunfall und dem Szenario, das Hugh und ich im Bad entwickelt hatten.
»Es war völlig korrekt, daß sie mich angerufen haben, Miss Shimura«, sagte er am Ende meines Redeschwalls. Korrekt. Das war schon ein Fortschritt gegenüber seinem vorherigen Verhalten. Freudig fragte ich ihn, was er als nächstes unternehmen wollte.
»Zuerst werde ich den Arzt im St. Luke’s anrufen, von dem Sie mir erzählt haben. Wenn ich es dann für nötig halte, werde ich die Autopsie noch einmal vornehmen lassen.«
Mir war schwindlig, als ich auflegte. Ich legte mich ins Bett, konnte aber nicht schlafen. Ich machte mir eine Tasse Kakao und versuchte mich zu entspannen. Captain Okuhara hatte mir zugehört. Er hatte sich bei mir bedankt. Rache würde nie wieder so süß sein.
12
Die Kekse und Süßigkeiten, die sich neben der Kaffeemaschine häuften, waren schon ziemlich ausgesucht, aber sie führten mich an meinem ersten
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