Die Tote im Keller - Roman
dass es Irene fast nicht bemerkt hätte. Für den Bruchteil einer Sekunde fiel die unergründliche Fassade Joar Svanérs. In diesen Nanosekunden erkannte Irene, dass dies eine Neuigkeit war, die er noch nicht kannte.
»Wer war denn der Typ, der sie zum Doktor gebracht hat?«, fragte Irene rasch.
»Weiß nicht. Irgendein verdammter Freier.«
Jetzt wäre Irene fast die Maske runtergefallen. Diese Information konnte sehr wichtig sein, falls sie wahr war. Und im Augenblick hatte es tatsächlich den Anschein, als hätte sich der Indianer entschlossen, die Wahrheit zu sagen. Die Erklärung war sicher einfach: Er wollte den neugierigen Fragen der Polizei ein Ende bereiten und ihr Interesse in eine andere Richtung lenken.
»Wieso glauben Sie, dass es sich um einen Freier gehandelt hat?«
»Er sagte was im Auto … was war das noch gleich … irgendwas von einem Kunden, auf den er sich verlassen kann.«
»Sie erinnern sich nicht mehr genau daran, was er gesagt hat?«
»Verdammt! Das ist so lange her! Ich kann doch wohl nicht…«
Ein Blick auf seinen Anwalt brachte ihn zum Verstummen.
Auch Svanér hatte den Wert der Taktik erkannt, von der Person des Indianers abzulenken. Besonders da die Polizistin an diesen Informationen interessiert zu sein schien.
»Verdammt … Heinz sprach wahnsinnig schlecht Englisch. Aber er sagte, dass er ›trusted this man‹ und ›he is a good customer«, sagte der Indianer mit erstaunlich guter englischer Aussprache.
Ein zuverlässiger Stammkunde hatte also, nach dem, was der Indianer sie glauben machen wollte, den Auftrag erhalten, Tanja zu einem Arzt zu bringen. Statt sie dorthin zu fahren, hatte er sie zum Oralsex gezwungen. Sein Sperma hatte in ihren Haaren geklebt, als sie einige Stunden später gefunden worden war.
Dieser unbekannte vertrauenswürdige Kunde konnte folglich ihr Mörder sein.
Im Hinblick darauf, was die Fahnder wussten, der Indianer aber nicht, konnte das, was er erzählt hatte, also durchaus der Wahrheit entsprechen.
Direkt nach dem Verhör ging Irene in ihr Büro und rief im Sahlgrenska-Krankenhaus an. Die Oberschwester der orthopädischen Station informierte sie, dass ihre Mutter auf der Wachstation liege. Falls nichts dazwischenkomme, würde sie bereits am Abend wieder auf die reguläre Station verlegt werden. Gerd habe jedoch eine große Operation hinter sich, Irene solle sich also keine Sorgen machen, falls sie noch über Nacht unter besonderer Aufsicht bliebe. Die Schwester bat Irene, nach fünf Uhr noch einmal anzurufen, um dann Näheres zu erfahren.
Seufzend machte sich Irene wieder an ihren Bericht über die Ereignisse auf Teneriffa. Sie war unkonzentriert, und die Arbeit ging nicht voran.
G erd hatte über Nacht auf der Wachstation bleiben müssen, und erst gegen Mittag sollte sie wieder auf die orthopädische Station verlegt werden. Die Schwester empfahl Irene, mit ihrem Besuch bis zum Abend zu warten.
Irene legte auf und starrte eine Weile an die Wand. Nach einer fast schlaflosen Nacht war sie todmüde. Die Sorge um ihre Mutter und die Gedanken an Stures Tod hatten sie wachgehalten.
Die Wirklichkeit forderte ihre Aufmerksamkeit. Das Klingeln des Telefons riss sie aus ihren Gedanken. Ehe sie noch etwas sagen konnte, hörte sie schon Svante Malms Stimme am anderen Ende:
»Hallo! Ich konnte Hannu nicht erreichen. Kannst du runterkommen? Ich habe hier was, was euch sicher interessiert!«
Ihr blieb keine Zeit zu fragen, was es war, denn er hatte schon wieder aufgelegt. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als sich in die Spurensicherung zu begeben.
»Ich hatte so eine Idee und rief beim Fundbüro an. Die haben das hier am 18. reinbekommen, am Tag nach dem Mord an dem Mädchen.«
Mit einem vielsagenden Lächeln reichte er Irene die Fundsache. Es handelte sich um ein nagelneues schwarzes Nokia-Handy, mit einer breiten mattsilbernen Verzierung. Irene klappte es auf. Es war abgestellt.
»Das von Torleif Sandberg?«, fragte sie.
»Ja. Du hattest mir doch die Seriennummer des Handys gegeben, und sie stimmt überein. Der Akku ist leer, aber ich hatte schließlich auch die PIN von dir und habe dann die SIM-Karte mit einem anderen Handy überprüft.«
»Wo wurde das Handy gefunden?«
»Auf dem Reitweg oberhalb der Fernsehanstalt. Eine Reitlehrerin hat es gefunden.«
»Aber hatte es nicht angefangen zu schneien? Wie konnte sie es da erkennen?«
»Es lag deutlich sichtbar mitten auf dem Weg. Außerdem hat es erst am Tag danach zu schneien
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