Die Tote im Maar - Eifel Krimi
überlieferten Geschichten, um Sagen und Legenden …«
Das wunderte mich überhaupt nicht. Diese Legenden besaßen eine seltene Anziehungskraft.
Mir hatte die Geschichte mit dem Heckenmännchen immer gefallen. Die Vorstellung, dass der kleine Gartengeist denjenigen kneift, der nach dem Obst in Nachbars Garten greift.
Doch darum ging es in dem Artikel sicher nicht. Die Maare gaben zu so mancher Geschichte Anlass, und kaum hatte ich es gedacht, da sprach Galen davon, dass jemandem ein gespenstisches Rumoren im Totenmaar aufgefallen sein wollte.
»Im Maar rumort es?«, fragte Luise, bevor ich es tun konnte.
»Die Wissenschaft geht davon aus, dass in einem Vulkankrater durchaus unterirdische Bewegungen stattfinden«, sagte Galen.
»Sophia Schäfer«, meinte ich nur. Die alte Dame war, soweit ich wusste, an unserem Heimatblättchen finanziell beteiligt, und hin und wieder steuerte sie einen Artikel bei. Mir war sie immer ein wenig verdreht vorgekommen und traurig.
»Wenn man ihr glauben mag, reißt uns das Totenmaar irgendwann alle in die Tiefe. So wie ihren kleinen Bruder.« Galen tat so, als würde seine Hand etwas nach unten ziehen.
»Aber er ist doch ertrunken, daran war nichts Geheimnisvolles«, meinte Luise.
Gesehen hatte ich die Aufzeichnungen nicht, aber laut Sophia gab es sie. Am Tag, als ihr Bruder im Totenmaar ertrank, hatten seismographische Messungen angeblich Bewegungen aufgezeichnet. Ich hatte das Maar nie brüllen gehört, aber es wurde angenommen, dass sich tief unter der Eifel eine heiße Zone befindet. Vulkanismus.
Ich hatte das Institut abgeschlossen, Luise verabschiedet, die mir zuflüsterte, sie würde mir gern in den nächsten Tagen die Karten legen, und Galen hinterhergeschaut, wie er, das Codebuch in seiner Jeansjacke, davonmarschierte.
Wie konnte mir etwas fehlen, das ich nie beachtet hatte, weil es mir nicht gehörte? Ein Buch, in das ich keinen Blick tat? Es war immer da gewesen, in meiner Schublade. Vielleicht sollte ich wenigstens hineinschauen, wenn ich es zurückhatte.
Und etwas sehen wollte auch meine beste Freundin. Luise würde nicht lockerlassen, bevor sie mir nicht meinen zukünftigen Weg aufgezeigt hatte. Ich wollte ihn nicht wissen, ich machte mir auch ohne die Karten schon Gedanken genug.
Die zweiunddreißig Bildkarten glichen einem normalen Kartenspiel, auf der Vorderseite befanden sich verschiedene Symbole und auf der Rückseite ganz normale dunkle Verzierungen ohne jede Aussage.
Relativ harmlos; bis auf den Sarg. Es ging dabei aber nicht allein um die einzelnen Motive auf den Karten, es ging darum, sie aufzulegen, zu schauen, welche Karte an welcher Stelle lag, sie zusammen zu lesen und zu interpretieren. Und genau das hatte meine Freundin mit mir und für mich vor.
An das erste und letzte Mal erinnerte ich mich noch gut. Luise mischte und legte sie in vier Reihen zu je neun Karten auf. Danach starb Hugo Renz, ein Junge, der eine Klasse über uns war. Er wurde Opfer eines fahrerflüchtigen Pkws, der ihn auf seinem Fahrrad erfasst hatte. Erst am nächsten Morgen wurde seine Leiche im Gebüsch gefunden.
Luises Karten konnten nichts dafür. Sie hatte Hugos Tod auch gar nicht vorhergesehen. Aber ich weiß noch, dass sie etwas von einem Unfall gesagt hatte. Etwas, das uns beide nicht unmittelbar betreffen, uns aber dennoch beschäftigen würde. Genau so war es gekommen. Wir hatten nicht richtig getrauert, uns aber Gedanken gemacht, wer Hugo auf dem Gewissen hatte. Die Person blieb jedoch ohne Gesicht. Bis heute war sie unentdeckt geblieben.
Ich wollte nicht, dass Luise die Karten für mich legte.
Tanzmusik schallte über den Friedhof, und ich ertappte Luise dabei, wie sie sich in ihrem langen Kleid ein wenig hin und her wiegte und mit den Füßen auftippte.
Es hatte am Nachmittag kurz geregnet, und die vier Sargträger hatten sich, um eine bessere Sicht auf den Untergrund zu haben, die zierliche Leiche im Sarg auf die Schultern gepackt.
Es lag sicher an der ausgewählten Musik, dass meine Vorstellung unmögliche Kapriolen schlug. Ich hatte lebendige Bilder vor Augen. Kunststück, denn ich hatte noch am vergangenen Abend einiges recherchiert. Trauerzüge. Und ich war hängen geblieben im tiefsten Süden der USA , wo Ort und Rhythmus eins wurden.
An einem schönen Sonnentag, die Luftfeuchtigkeit ist hoch, und die Atmosphäre brodelt, ein Leichenzug zieht vorüber – bunte Kleider mit ausladenden Dekolletés, Hüte mit ganzen Landschaftsgärten darauf, wippende
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