Die Tote im Maar - Eifel Krimi
in der letzten Zeit so einiges, was ich zuvor nicht für möglich gehalten hätte. Was glaubte ich, hatte mein Vater niedergeschrieben: etwa, wie er meine Mutter davon abhielt zu gehen? Sicher nicht. Und doch stöberte ich in den einzelnen Einträgen. In gewisser Weise hatte er mit seinen Anmerkungen die Toten ein wenig am Leben erhalten. Also, wer sagte mir, dass er das für Katharina nicht auch getan hatte?
Einige Male musste ich schlucken, denn manche der immer mit Datum versehenen Notizen waren sehr persönlich. Über einen Einsiedler, der lange in der alten Mühle, einem heruntergekommenen Fachwerk-Mühlhaus östlich von Schalkenmehren, gelebt hatte, hieß es: »Einsam kannst du nicht gewesen sein, die Bissspuren an deinem Hintern sind ziemlich frisch.« Eine Person nannte er »Schneeweißchen«, unter einem anderen Frauennamen stand: »Warum konntest du es ihm nicht sagen?« Daneben gab es einen Verweis auf ein Neugeborenes. Offenbar hatte die Frau heimlich ein Kind geboren und es ihrem Ehemann verschwiegen. Sie war verblutet. Und ich fragte mich, wie groß ihre Verzweiflung gewesen sein musste oder die empfundene Scham.
Dann gab es noch einen Eintrag zu einem jungen Mann, den seine Mutter immer bedrängt hatte, er müsse endlich heiraten, die Familientradition fortführen, die Blutlinie. Er war auf die kuriose Idee gekommen, sich für tot erklären zu lassen. Dann hätte er endlich seine Ruhe. Einen Bestatter danach zu fragen war wohl nicht des Rätsels Lösung.
So viele Geheimnisse, musste ich denken. Winzige Teile eines Lebens, zusammengenommen konnte man ein Buch damit füllen. Doch ich fand nichts zu Katharina.
Auf dem Couchtisch lag das antike Stück Rahmen.
Ich nahm es und schloss meine Hand darum. Vincent Klee würde den Verlust sicher bemerken. Na und, dachte ich, soll er doch.
Ich warf einen Blick auf die Uhr. Allmählich müsste meine Freundin samt Champagner auftauchen, investigative Blicke durchs Glas hin oder her.
Wenn das jetzt zu Luises neuem Spleen wurde, dann musste ich gestehen, wären mir ihre Karten und die speziellen Deutungen doch lieber. Da konnte ich mich wenigstens damit beruhigen, dass die möglichen zukünftigen Dinge, die sie sah, ja nicht einzutreffen brauchten.
Beobachtet hatte ich nur ein einziges Mal jemanden, und das richtig, denn ich hatte mich auf die Lauer gelegt. Ich wollte wissen, was man tun musste, um einem Jungen zu gefallen. Und in meiner Klasse gab es ein Mädchen, von der alle annahmen, dass sie diejenige war, die es in jedem Fall wissen müsste. Weil sie mit dem tollsten Jungen der Schule ging. Also hatte ich Romy ins Visier genommen, mit einem Opernglas, weil ich nichts anderes zur Verfügung gehabt hatte. Ich verriet niemandem meinen Plan, ihr nach der Schule nachzuschleichen, und war am Ende froh, es nicht ausposaunt zu haben. Die hübsche Romy hatte sich mit ihrem Freund getroffen, ihm weinend ihre Schwangerschaft gestanden, und er – gab ihr den Laufpass und drohte ihr, ihn ja nicht zu verraten. So viel zu meiner Beobachtung. Man sah und belauschte unter Umständen Dinge, die einem anderen Schmerz bereiteten. Ich hatte Romy nicht sonderlich gemocht, aber von da an hatte sie mir leidgetan.
Einen kurzen Augenblick sah ich Romys Gesicht und die Tränen von damals. Dann löste es sich in meiner Erinnerung auf, und etwas anderes nahm seinen Platz ein. Die Fotos auf dem Vertiko begannen sich plötzlich ineinanderzuschieben, und die Zeiger der Uhr bewegten sich rückwärts. Johnny rappelte sich auf und schlich zu mir herüber. Er spürte die Veränderung, und sein Fell sträubte sich.
Da war er, der Spiegel, dessen Rahmenfragment ich gerade noch in den Händen gehalten hatte. In seiner vollen Pracht. Und Katharina lachte mir daraus entgegen. Ich wollte mich umdrehen.
»Geh nicht weg!«, flüsterte ich heiser, aber mein Körper gehorchte meinen Befehlen nicht. Katharina und ich waren nicht allein. Da war noch eine andere Person, und ich konnte meine Mutter zusammenzucken sehen. Als Nächstes sah ich wieder das Blut über ihre Brust fließen, ein roter Sturzbach, und sie griff sich an den Hals. Ich konnte nur hilflos dabeistehen, eine Beobachterin. Ich schaute in ihr Gesicht. Ihr Blick war liebevoll, als hätte sie mich noch im letzten Atemzug umarmt.
Als ihre Augen glasig wurden, löste sich auch dieses Bild auf.
Ich lag zusammengekrümmt und zitternd auf der Couch. Wer auch immer das war, der sich in meinem Gehirn zu schaffen machte, er löste Stück
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