Die Tote im Maar - Eifel Krimi
einer Person wirklich vertraut ist, sie gut kennt, ihre Mimik, ihre Gesten, ihr Lachen … alles, was den Menschen ausgemacht hat, ist im Tod verloren.«
Julia Koch hatte es auf den Punkt gebracht. Im Tod verschwand das, was einen Menschen ausmachte. Er hatte Fotos gesehen; die beiden Frauen waren sich nicht nur ähnlich, sie glichen sich. Aber Gleichheit gab es nur oberflächlich, und für ihn zählte nur die Erbinformation eines Menschen.
Eineiige Zwillinge. In vieler Hinsicht waren sie noch immer rätselhaft. Die doppelsträngige Helix aus Desoxyribonukleinsäure, DNS genannt, setzt sich aus etwa drei Milliarden Genbuchstaben zusammen. Von diesen gibt es vier Sorten: Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin. Ihre Reihenfolge ist bei eineiigen Zwillingen gleich, was der Grund dafür ist, weshalb sie sich zum Verwechseln ähnlich sehen. Trotzdem gibt es auch Unterschiede: Die Anzahl der Kopien einzelner DNS -Abschnitte ist bei Zwillingen unterschiedlich.
Und eine weitere Verschiedenheit: Die Handlinien und auch die Fingerabdrücke sind zwar oft ähnlich, aber nie identisch.
Von Kristina Dissen gab es Unterlagen, während von Katharina Friedrich keine Kartei existierte. Sie hatte auch nicht versucht, jemanden zu töten.
Vincent sah wieder Julia Koch an. Sie hatte eine heiße Schokolade bestellt, als wäre ihr kalt. Aber die Kälte konnte auch von innen kommen.
* * *
Verdrängung. Wie viel und ab welchem Zeitpunkt? Das beschäftigte mich mehr, als etwas anderes es derzeit konnte.
Mit Dr. Wagner wollte ich es nicht besprechen, ich war mir ohnehin nicht sicher, was er wusste oder was er glaubte zu wissen. Es war möglich, dass ich den Mord an Katharinas Zwilling gesehen hatte. Blieb immer noch das Rätsel um meine Mutter.
Und das Rätsel um die Visitenkarte. Ich hatte sie entdeckt oder eher wiederentdeckt. »Konstantin Höllrath. Psychoanalytiker«. War er der geheimnisvolle Dr. Freud, den ich mir notiert hatte?
In jedem Fall war er derjenige, der mit Vincent Klee zu mir gekommen war, um mir vom Tod meiner Mutter zu berichten, und so wie er mich angesehen hatte, könnte das bedeuten, dass er etwas Bestimmtes erwartet hatte. Nämlich dass ich ihn erkannte. Diese Erwartung hatte ich nicht erfüllt. Ich hatte ihn nicht erkannt. Warum nicht? Vor allem aber musste ich mich fragen, ob ich ihm etwas erzählt hatte – und wovon? Lieber Himmel, ich wusste es nicht mehr!
Und Vincent Klee. In meinen Gedanken war er häufig vorgekommen, aber ich mochte kein Bild von ihm aufrufen. Er machte mich nervös, aber damit konnte ich doch umgehen. Sicher konnte ich das.
Ich machte mich für den Besuch am späten Nachmittag hübscher, als es hätte sein müssen. Nachdem ich mir einige Rechtfertigungen zurechtgelegt hatte – meine Wimperntusche diente nur der Pflege, und das Rouge auf meinen Wangen sollte meine Blässe etwas kaschieren –, begab ich mich auf den Weg zum Landgut Sonnenschein. Ich sollte auch kurz nach Caramello schauen, oder besser nach Fabian schauen und nach Caramello fragen, der vielleicht schon verschenkt worden war, was ich hoffte.
Ich trug eine enge Jeans und ein an den Ärmeln geschlitztes Shirt. Luise würde sofort wissen, was ich da tat.
»Oh«, lautete dann auch ihre erste Bemerkung, bevor eine Umarmung und eine Begrüßung folgten.
Ich war lässig aus dem Wagen gestiegen, hatte mein Haar zurückgeworfen und ein Lächeln aufgesetzt. Heute war ich einmal nicht die Bestatterin.
»Ich möchte nach Fabian und Caramello schauen. Redet ihr wieder miteinander?« Ich wusste, dass Fabian etwas angestellt hatte, aber Luise hatte dieses Etwas nicht näher benannt.
»Fabian heißt nicht zufällig dein netter Umweg zu dem Herrn im Spanischen Zimmer?«, fragte sie augenzwinkernd. Statt einer Antwort fragte ich noch einmal, wie es mit der innerfamiliären Kommunikation aussah.
»Das hat er sich selbst eingebrockt.« Sie war immer noch verärgert. »Er hat tatsächlich von Vincent Klees Notebook aus eine Mail verschickt. Und ich vermute, das war noch nicht alles. Du weißt, ich liebe diesen Bengel, aber er ist anstrengend. Er müsste in seinem Zimmer sein«, sagte sie.
Aber dort war er nicht, und auch kein Caramello. Keine Spur von den beiden.
Luise lief unruhig hin und her. »Schön, ja, ich bin richtig böse geworden, ich könnte ihn verjagt haben«, klagte sie.
Ich war pragmatisch. »Könnte er bei Galen sein?«
Das war schnell überprüft – auch dort war er nicht.
»Vincent Klee kann vielleicht
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