Die Tote im Maar - Eifel Krimi
Handhabung war. Und kaltblütig.
Ich war ein Feigling, ganz langsam pirschte ich mich heran an die Bilder des Grauens. Es war das gleiche Gesicht, nur dass es das Mal trug, das wie ein kleines Herz aussah.
Doch das waren keine seelenlosen Augen, die mir entgegenblickten. Katharina hatte Schnitte an der Kehle, an Hals und Dekolleté. Und am linken Ohr.
Kristina war nicht sofort auf ihr Gesicht losgegangen. Vielleicht hatte sie erst Katharinas Gegenwehr brechen müssen. Es gab Abwehrverletzungen an ihren Händen und Armen. Das hatte ein Mensch einem anderen angetan, eine Schwester einer Schwester.
Luise durchbrach meine Gedanken. Während ich die Fotos betrachtete, hatte sie weiter im Ordner geblättert und gelesen.
Ich wollte etwas entdecken, ich brauchte Antworten. Mein Kopf dröhnte, eine natürliche Reaktion, kein beginnender Blackout.
Luise rieb sich die Schläfen, dann fuhr sie mit dem Finger die Spalten nach. »Sie verbringt viele Jahre in dieser Einrichtung, wird erwachsen. Von Reue ist keine Rede, bis irgendwann eine Wandlung einsetzt. Und dann … oh Gott!« Sie hatte die Hand bereits wieder zur Faust geballt. »Der behandelnde Arzt ist plötzlich der Meinung, dass von Kristina Dissen keine Gefahr mehr ausgeht, weder für sich selbst noch für ihre Zwillingsschwester oder jemanden sonst. Die Therapie sei erfolgreich gewesen, ein Klinikaufenthalt nicht länger angeraten.« Luise tippte auf das Dokument. »Katharina bekam einen Brief, in dem ihr Kristinas Entlassung mitgeteilt wird.«
»Vielleicht war sie nur eine gute Schauspielerin, die endlich einen Weg gefunden hatte, sich zu befreien«, sagte ich, weil ich diese Augen wieder vor mir sah.
»Sie könnte den Arzt überredet haben – sie war eine schöne Frau«, sagte Luise.
»Gerade spekulieren und unterstellen wir gehörig.«
»Dann unterstelle ich es eben. Jedenfalls hat der Kerl mit einem Gutachten und seiner Unterschrift dafür gesorgt, dass Kristina die Klinik verlassen konnte. Sie kam nach Schalkenmehren. Ich habe sie gesehen. Was sollte sie hier gewollt haben, außer …«
Außer Katharina zu töten.
23
Das Weiß war an manchen Stellen von einem schmutzigen Grau durchzogen. Der Hai war riesig, und er schwamm unbeirrt auf ihn zu.
Vincent trug nichts als Badeshorts und ein T-Shirt. Die Luft würde nur für kurze Zeit reichen, und in dieser kurzen Zeit musste er sie finden. Schlieren von Blut waberten durchs Wasser. Er hatte getötet, aber er musste nicht Belle erwischt haben.
Die Strömung trieb Vincent weiter hinaus, er konnte nicht tiefer hinunter, seine Lungen würden platzen. Der Hai vollzog eine Drehung, er war wendig und schnell, und schon schoss er aus Vincents Blickfeld. Ganz kurz hatte er in seine Augen gesehen. Er musste Luft holen. Belle war nirgendwo, und das Blut kaum mehr zu sehen, das Wasser hatte die Spuren des Mörders verwischt.
Es gab eine Haiart, die sich Engelshai nannte. Wie konnte man eine solche Spezies nach einem göttlichen Wesen benennen?
Damals wie heute war ausgerechnet dieses Wissen mit ihm zurück an die Oberfläche gestiegen.
Der Traum war eine verschwommene Wirklichkeit, doch die gefühlte Intensität erschütterte ihn noch immer. Er hatte dort unten Todesangst gehabt, nie würde er die Augen und das Maul dieses Hais vergessen.
Auch im Spanischen Zimmer war der Tod gegenwärtig, er hing an einer der Wände. Vincent blieb einige Augenblicke auf dem Bett sitzen, bevor er ins Bad ging und dort als Erstes an Isabel erinnert wurde.
Er hatte noch nicht alle Informationen zusammen, aber was ihm vorlag, genügte, um zu schließen, dass Isabel Friedrich mehr wusste, als sie ihm gesagt hatte. In einem kleinen Ort war ein Allgemeinmediziner eine Vertrauensperson, meist kannte man ihn gut, und das von klein auf. Vincent hatte Dr. Wagner aufgesucht. Der Mann war verschwiegen, das musste er sein, aber nicht derart verschlossen, dass Vincent ihm in irgendeiner Weise hätte drohen müssen. Er hatte seine Antwort bekommen, doch auch der Doktor hielt etwas zurück. Er hatte dem Kommissar schlauerweise etwas gegeben und etwas anderes unter den Tisch fallen lassen. Dr. Wagner war gut bekannt mit der Familie, von der es nur mehr Isabel gab. Vincent konnte sich vorstellen, dass er sich da zumindest ein wenig verantwortlich fühlte.
Das Wasser der Dusche spülte die düsteren Gedanken weg – der immer wiederkehrende Traum und die Unterwasserbegegnung mit einer Frau, die vor neunzehn Jahren ermordet worden
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