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Die Tote im Nebel - historischer Krimanlroman

Die Tote im Nebel - historischer Krimanlroman

Titel: Die Tote im Nebel - historischer Krimanlroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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untergraben meine Autorität«, murmelte Schmitt mit düsterer Miene, kaum dass der Student gegangen war. »Ich kann nicht einfach zusehen, wie …
    »Natürlich können Sie das. Sie haben heute Abend auch zugesehen, wie es zu einem bewaffneten Duell kam. Sie waren sogar Sekundant.« Julius’ Mundwinkel deuteten ein zynisches Grinsen an. »Außerdem schulden Sie mir etwas.«
    »Diese Schuld ist langsam beglichen.«
    »Jetzt ja«, nickte Julius und streifte seinen Rock wieder über. Erst jetzt merkte er, wie durchgefroren er war. Der Nebel über der Flussaue hatte sich inzwischen zu einer undurchdringlichen Wand verdichtet, die langsam auf die Gärten übergriff. Es wurde dringend Zeit, dass sie zurückkamen. »Im Gefängnis oder im Karzer nutzt uns der Junge nichts«, fuhr Julius fort, als der Wachtmeister immer noch nervös zuckte. »Außerdem sorgt das für Trubel, den ich gerade nicht gebrauchen kann. Lassen Sie ihn laufen und tun Sie so, als hätten Sie diesen Abend nie erlebt. Das erspart Ihnen und mir Ärger, und wenn wir Katharina Wittgen überführt haben, schert sich niemand mehr um diesen schäbigen Ehebruch.«

XII
    Der Nebel stand wie eine Wand vor dem Fenster. Das Dach des Nachbarhauses, eine Kirschkernspuckweite entfernt, war ganz vom milchigen Grau verschluckt. Helligkeit sickerte durch die trüben Schleier, unmerklich und diffus, aber ein sicheres Anzeichen, dass irgendwo jenseits des Nebels die Sonne aufgegangen sein musste.
    Sophie seufzte und schloss die Fensterläden, um zum Bett zurückzukehren und zum dritten Mal den Brief zu überfliegen, den ihr Lisbeth aus Kassel geschickt hatte. Die ersten zwei Seiten handelten vom Leiden der Tante, die Sophie rasch überblätterte, bis sie zu der Stelle kam, die sie wirklich interessierte. Doktor Wittgen ist hier wohl bekannt , hatte die Schwester, die sie um diese Auskünfte gebeten hatte, in ihrer kindlich-klaren Schrift geschrieben. Er ist beliebt und gilt als freundlicher, kluger Mann. Die Leute haben mir erzählt, dass Helene ihren Vater geliebt hat. Nur habe der Wittgen Pech mit den Frauen gehabt. Katharina hat er geheiratet, kurz bevor er Kassel verlassen hat. Er war vorher wohl schon verheiratet, fünf Mal, wenn ich die Gerüchte richtig deute. Helene war sein Augenstern, ihr Tod muss ihn hart getroffen haben.
    Nicht nur ihn. Sophie ließ den Brief sinken und schloss für einen kurzen Moment die Augen, um sich Helenes Gesicht noch einmal ins Gedächtnis zu rufen. Überrascht stellte sie fest, dass sie sich nicht mehr an alle Details erinnern konnte; die junge Frau, die sie vor sich sah, hatte schwarzes Haar und ein hübsches, milchweißes Gesicht, aber irgendetwas fehlte, ohne dass Sophie sagen konnte, was es war.
    Sie öffnete die Augen, starrte auf den Brief, der nach der Nacht unter ihrem Kopfkissen zerknittert und an einer Stelle eingerissen war. Vergaß man so schnell? Dauerte es nur wenige Tage, bis die Bilder der Erinnerung verschwammen? Was war dann in ein paar Wochen? Konnte man sich noch des Klangs der Stimme entsinnen, wie sie lachte? Und in einem Jahr war die Erinnerung verblasst, ihr Schicksal wurde gleichgültig, bis sie irgendwann der Vergessenheit anheimfiel.
    Sophies Hand ballte sich um den Brief zur Faust. Wenn sie Helenes Mörder nicht fand, würde man es vergessen. Niemand würde mehr danach fragen, wenn erst genug Wasser die Lahn hinabgeflossen war, und der Mörder würde weiterleben, geschützt vom Mantel des Vergessens. Doch das würde sie verhindern. Gestern Abend noch war sie bei Doktor Hirschner gewesen, um Julius zu überreden, sie mit zu der Hexe zu nehmen, aber ihr Vetter war nicht da. Sie hatte eine Nachricht hinterlassen, dass er sich melden sollte, doch auch das hatte er bislang nicht getan. Sie hatte nun lange genug gewartet.
    Sophie stand auf und griff nach dem Mantel, der schon auf dem Stuhl bereit lag. Bis zum Frauenberg war es ein Fußmarsch von mehreren Stunden, aber wenn sie sich beeilte, war sie vor Sonnenuntergang zurück. Den Gedanken an den Wolf, der dort draußen irgendwo lauerte, verbannte sie, noch ehe er sich festsetzen konnte. Wenn man sich von seinen Ängsten leiten ließ, hatte ihr Vater gesagt, dann hätten die Amerikaner niemals ihre Unabhängigkeit und ein freies Land erkämpft, dann wären die Brüder Montgolfiere niemals in den Himmel hinaufgestiegen und gottesfürchtige Tore kauften immer noch Ablassbriefe. Sophie wollte nicht die Welt verändern, aber sie war sich sicher, dass sie nicht

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