Die Tote im Ritz - Ein Fall fuer Detective Joe Sandilands
Constable? Möchten Sie mit einem Kiebitzei beginnen?«
Tilly sah den Sergeant zum ersten Mal an diesem Tag aufmerksam an und schaltete ihr Kilowattlächeln ein. »Wie ungeheuer entzückend! Ich bete Kiebitzeier an!«
Wenn das auch kein Waffenstillstand war, so war es doch zumindest ein Nachlassen der Feindseligkeiten, dachte Joe und machte sich daran, sich durch die improvisierte Picknickparty zu plaudern. Er bestand darauf, dass jeder zu der Unterhaltung beitrug, eine Übung, die sogar seine Fertigkeiten an ihre Grenzen brachte. Zu guter Letzt beschloss er, dass dies kein Spiel für drei Erwachsene war, sondern für einen Erwachsenen, der es mit zwei fremden und feindseligen Kindern zu tun hatte. Er änderte die Taktik und sprach über das einzige Thema, bei dem er von beiden ganz sicher eine Reaktion erhalten würde.
»Wir sind nur noch eine halbe Stunde von unserem Ziel entfernt«, meinte er mit seiner professionellen Stimme. »Bin mir nicht sicher, was wir zu erwarten haben. Aber es wird auf jeden Fall unangenehm.« Er seufzte. »Der schlimmste Teil der Aufgabe … die Nachricht vom Tod zu übermitteln … die ersten Reaktionen zu hören. Aber so unangenehm, wie es auch sein mag, in solchen Momenten erhält man nützliche Informationen. Bleiben Sie beide wachsam. Denken Sie einfach daran, dass wir nach jemandem suchen, der dem Opfer nahestand, der ein Motiv hatte, ihr den Schädel einzuschlagen. Und ich muss Ihnen wohl nicht erst sagen, dass die Menschen, die einem am nächsten stehen, am häufigsten in der eigenen Familie zu finden sind.«
»Da kann ich Ihnen helfen, Sir«, meldete sich Westhorpe zu Wort. »Ich habe vor Ihrer Ankunft ein wenig herumtelefoniert und einige Informationen über die Familie zusammengekratzt. Die Mutter von Dame Beatrice ist Alicia Jagow-Joliffe. Eine Witwe. Viel eigenes Geld, wie ich hörte. Vor dem Krieg dafür bekannt, dass sie sich für die Frauenrechtsbewegung einsetzte. Sie muss in den Sechzigern sein, aber erwarten Sie keine alte Dame mit Haube und Spitzenhandschuhen. Wie die Tochter, so die Mutter. Sie hat einen Sohn, der bei ihr wohnt, der Bruder von Beatrice… Orlando… fürchte ich.«
»Weiß man etwas über ihn? Ist er zufällig ein romantischer Lyriker?«
»Nein. Scheint ein romantischer Maler zu sein. Verbringt viel Zeit in der Stadt und hofiert Leute wie Augustus John, spendiert Runden für die Nassauer in der Fitzroy Tavern und zahlt die Rechnungen im Café Royal. Diese Art von Künstler.«
»Ich muss daraus schließen, dass er ein Dilettant ist … ein flâneur ? Hatte er Zeit zu heiraten, dieser boulevardier ?«
»Ich glaube nicht. Obwohl er eine … äh … Beziehung hat. Nicht immer dieselbe Beziehung. Die Momentane heißt Melisande … Melusine … irgendwas mit M. Sie ist sein Modell. Eines seiner Modelle.«
»Viel zu bohèmehaft, um es in Worte zu fassen!«, spottete Armitage.
Ausnahmsweise schien Tilly Westhorpe seiner Meinung zu sein. Missbilligung lag in ihrer Stimme, als sie fortfuhr: »Orlando ist Ende dreißig, aber er hatte schon Zeit, diverse Nachkommen zu zeugen. Niemand weiß genau, wie viele es sind. Alle haben andere Mütter, und die Mütter haben allesamt das Weite gesucht, soweit ich weiß. Die derzeitige Inhaberin seiner Zuneigung hat die ganze Brut unter ihre Fittiche genommen. So sieht seine Familie aus. Das Haus wird Ihnen gefallen, Sir. Es ist nicht besonders prachtvoll, aber angeblich ist es von historischem und architektonischem Interesse.«
»Mal was anderes als die Witwe in Wapping, deren Tochter letzte Woche erschlagen wurde«, kommentierte Armitage mit neutraler Stimme. »Ich musste ihr sagen, dass ihre älteste Tochter am Hafen, wo sie ihre Runde drehte, ermordet worden war. Sie lebte noch mit sechs anderen Kindern in einem einzigen Raum. Offenbar waren alle froh, dass es jetzt mehr Platz auf der gammeligen Matratze gab.«
»Tja, ich denke, wir brechen dieses fröhliche déjeuner sur l’herbe ab«, sagte Joe, »und fahren weiter. Ich kündigte an, dass wir gegen drei Uhr ankommen würden, also liegen wir gut in der Zeit.«
»Möchten Sie, dass ich fahre, Sir?«, fragten Westhorpe und Armitage im Chor.
Joe hielt die Hände in vorgetäuschtem Entsetzen hoch. »Na schön! Sie haben genug gelitten und dabei als Kommentar zu meinen Fahrkünsten nicht mehr als nur gelegentlich zischend den Atem eingesogen, darum übergebe ich das Lenkrad an … eene, meene, muh, an Westhorpe. Und ich verspreche, Sie dürfen uns den ganzen
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