Die Tote im roten Cadillac
an.«
Sie hängte ein.
Im Briefkasten waren vier Briefe gewesen: eine Mahnung, meine Miete pünktlicher zu bezahlen; ein Mann wollte als Volontär bei mir arbeiten; ein Angebot für künstliche Fliegen zum Angeln — echter tschechischer Import und besonders billig; und schließlich eine Einladung zu einem Vortrag im City-Haus: >Brauchen wir eine Caritas?< — Ich warf alles zusammen in den Papierkorb.
Dann duschte ich heiß und kalt, zog mich an und fuhr nach Alameda.
9
Kurz vor halb fünf war ich im City Park in Alameda, der zwischen den großen Gebäudekomplexen der Filmstudios von Warner Bros, und Walt Disney liegt. Da die Disneyleute gerade Feierabend machten, bekam ich einen Parkplatz, nicht weit vom »Flamingo« entfernt.
Ich fand Audrey allein auf einer Bank. Sie sah mich ebenfalls gleich und kam mir entgegen. Diesmal trug sie ein einfaches dunkelblaues Kleidchen mit feinen weißen Tupfen; auf ihrem Wuschelhaar hatte sie eine winzige Kappe aus dem gleichen Stoff. Sie sah aus wie ein Collegegirl in der Unterrichtspause.
Ich blieb vor ihr stehen und blickte sie aus zusammengekniffenen Augen an.
»Haben Sie das mir zuliebe angezogen?« fragte ich.
Sie wurde ein ganz klein wenig rot.
»Warum? Wieso glauben Sie das?«
»Nun, wenn ich auch nicht sehr viel davon verstehe — aber das Fähnchen ist bestimmt nicht von Dior.«
Sie wurde noch ein wenig mehr rot und sagte leise:
»Ich wollte nicht auffallen.«
»Das beste, was man tun kann. Wollen wir im >Flamingo< was trinken?«
»Wenn Sie gerne möchten.«
»Wollen Sie lieber was anderes tun?«
Sie nickte. »Ja, wir könnten am Fluß entlanggehen.«
Ich grinste. »Solche Extravaganzen erlaubt man sich eigentlich nur, wenn man verliebt ist. Aber gut, gehen wir ein Stück am Fluß entlang. Ich glaube, ich bin seit vier Jahren nicht mehr spazierengegangen. «
Wir bummelten durch die Anlagen, überquerten den Riverside Drive unter Lebensgefahr und gingen am Fluß entlang in Richtung Griffith Park.
»Sie haben’s also zu Hause nicht mehr ausgehalten?«
Sie schüttelte verbissen den Kopf.
»Nein. Sie machen alle mit Gewalt auf Trauer, und das widert mich an. Ich finde, wenn man traurig ist, dann steckt das ganz tief drin, aber man braucht es nicht direkt wie ein Reklameplakat zu zeigen. Ma ist unausstehlich. Sie hat sich bisher noch nie um Olivia gekümmert, aber jetzt auf einmal tut sie so, als ob das der schwerste Schlag war, der sie treffen konnte — besonders wenn Reporter zuschauen. Lloyd Webster ist unausstehlich, aber bei dem kann ich’s wenigstens verstehen. Ich glaube, er hat Olivia wirklich gern gehabt. Trotzdem brauchte er zu mir nicht so ekelhaft zu sein, als ob ich schuld an ihrem Tod wäre. Und Robby war auch unausstehlich. Ich wollte mit ihm nach Pasadena zum Friedhof fahren, nur um wenigstens von zu Hause weg zu sein, aber er hat mich nicht mitgenommen. Er hat nur behauptet, das sei nichts für mich, und ist losgefahren. Ich hab’ sie alle miteinander satt bis da oben hin.«
Sie hielt ihre kleine Hand ans Kinn und schaute mich an. Als sie sah, daß ich ihr aufmerksam zuhörte, fuhr sie fort:
»Wenn Paps wenigstens da wäre, dann wäre alles viel besser. Schließlich hab’ ich auch noch Grace angerufen, aber die ist zu normalen Zeiten schon schwer zu verdauen. Sie jammert einem unentwegt die Ohren voll, daß sie unglücklich verheiratet sei, daß sie keine Kinder hätte, und andauernd tut ihr irgendwo was weh. Trotzdem hab’ ich sie aus lauter Verzweiflung angerufen, aber sie sagte, sie würde niemanden empfangen, nicht einmal mich.«
In einer kleinen, knallbunten Bude kaufte ich zwei Eis. Wir gingen schleckend am Ufer entlang weiter.
»Und da haben Sie mich angerufen?«
»Ja. Sie waren meine letzte Rettung.«
Als wir unser Eis fertig hatten, zerbröselten wir die Waffeln und warfen die Stückchen in den Fluß. Wir schauten zu, wie die Fische nach ihnen schnappten.
»Da ist noch ein Grund«, sagte sie plötzlich, »weshalb ich mit Ihnen sprechen wollte.«
»Bitte — ich bin ganz Ohr.«
Sie schaute mich an, und ihre sonst so fröhlichen Augen waren sehr traurig.
»Sie dürfen sich aber jetzt nicht über mich lustig machen!«
»Nein, ich bin ganz ernst.«
»Da ist doch bei uns zu Hause etwas gestohlen worden, nicht wahr?«
»Ja«, nickte ich. »Woher wissen Sie das?«
Sie blieb stehen und lehnte sich an das Geländer. Mit ihren weißen Wildlederschuhen stieß sie kleine Steinchen ins Wasser. Es gab trübe Blasen, die
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