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Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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nach Crestline hinauf. Auf fünfzehn Meilen stieg die Straße 5000 Fuß, aber selbst dann war es alles
    andere als kühl. Dreißig weitere Meilen Bergfahrt brachten mich zu
    hohen Kiefern und einem Ort, der Bubbling Springs hieß. Er bestand
    vorwiegend aus einer schindelgedeckten Verkaufsbude und einer
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    Tankstelle, aber er erschien mir wie das Paradies. Von jetzt an war
    es den ganzen Weg über kühl.
    Der Puma‐Lake‐Damm wurde an beiden Enden und in der Mitte
    durch bewaffnete Posten abgesichert. Beim ersten mußte ich die
    Fenster schließen, bevor ich den Damm überqueren durfte. Unge‐
    fähr hundert Yard vom Damm entfernt sorgte eine Korkleine dafür,
    daß die Ausflugsboote nicht näher an den Damm herankommen
    konnten. Abgesehen davon jedoch schien der Krieg Puma Lake
    nicht im geringsten zu kümmern.
    Kanus paddelten durch das blaue Wasser, Ruderboote mit Au‐
    ßenbordmotoren tuckerten, und Rennboote, die angaben wie Halb‐
    starke, wirbelten lange Schaumschwaden auf, wendeten auf einem
    Groschen, und die Mädchen auf ihnen kreischten und tauchten ihre
    Hände ins Wasser. Durchgeschüttelt vom Kielwasser des Rennboot‐
    Sets wurden Leute, die zwei Dollar für einen Angelschein gezahlt hatten und die nun versuchten, wenigstens einen Zehner der Ge-bühr in Gestalt eines langweilig schmeckenden Fisches wieder her‐
    auszuholen.
    Die Straße berührte einen hohen Granitfelsen und fiel dann zwischen Wiesen von grobem Gras, in dem wuchs, was an wilder Iris,
    weißen und roten Lupinen, an Günsel, Minze und Akelei und Wei‐
    deröschen übrig geblieben war. Hohe gelbe Kiefern tasteten den
    klaren blauen Himmel ab. Die Straße fiel abermals auf die Höhe des
    Sees, und die Landschaft begann sich mit Mädchen anzufüllen, die
    grelle Hosen und Stirnbänder, ländliche Kopftücher und Ratten‐
    schwänze, dicksohlige Sandalen und dicke weiße Schenkel hatten.
    Leute auf Fahrrädern wackelten bedächtig über den Highway, und
    ab und zu klopfte ein besorgt dreinblickender Unglücksrabe auf
    einem Motorrad vorbei.
    Eine Meile vor dem Dorf mündete eine kleinere Straße in den
    Highway. Sie schlängelte sich zurück in die Berge. Auf einem groben Holzschild unter dem Highway‐Zeichen stand: ›Little Fawn
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    Lake 1 3/4 Meilen.‹ Ich folgte dem Schild. Verstreute Blockhäuser saßen während der ersten Meile hochgelegen auf den Abhängen,
    dann kam nichts mehr. Plötzlich mündete eine andere sehr enge
    Straße in meine und ein weiteres grobes Holzschild verkündete:
    ›Little Fawn Lake. Privatstraße. Durchfahrt verboten‹ Ich dirigierte meinen Chrysler auf die Straße und kroch vorsichtig um hohe nackte Granitfelsen herum, kam an einem kleinen Wasserfall vorbei und
    durchfuhr ein Labyrinth aus Schwarzeichen, Eisenbäumen, Manza‐
    nitabüschen und Stille. Ein Eichelhäher keifte auf seinem Zweig, und ein Eichhörnchen zankte mit mir und schlug mit einer Pfote zornig gegen einen Tannenzapfen, den es mit der anderen festhielt.
    Ein Rotspecht unterbrach seine Untersuchung der Borke lange ge‐
    nug, um mich mit einem seiner Knopfaugen anzuschauen; dann
    schlüpfte er um den Baumstamm herum und beäugte mich mit dem
    zweiten. Ich kam zu einem Gatter, das aus fünf Stämmen bestand, und zu einem neuen Wegweiser.
    Hinter dem Gatter kroch die Straße für einige hundert Yard gewunden durch Bäume, und dann war plötzlich ein kleiner ovaler
    See unter mir, tief eingelassen zwischen Bäumen, Felsen und wildem Gras – ein Tautropfen, gefangen in einem gekräuselten Blatt.
    An dem mir zugewandten Ufer lag ein grober Zementdamm mit
    einem Seil als Geländer und einem alten Mühlrad an der Seite. In der Nähe stand ein kleines Blockhaus aus unbearbeitetem Tan-nenholz mit Rinde.
    Hinter dem See, am weitesten von der Straße entfernt und dem
    Damm am nächsten, schien ein großes Blockhaus aus Rotholz fast direkt über dem Wasser zu hängen, und weiter dahinter, in genü‐
    gendem Abstand voneinander, standen zwei weitere Blockhäuser.
    Alle drei wirkten verlassen und still mit ihren geschlossenen Läden.
    Das große hatte orangefarbene Fensterläden, und das Fenster, das zum See ging, bestand aus zwölf kleinen Scheiben.
    Am anderen, dem Damm entgegengesetzten Ufer des Sees war
    etwas, das wie ein kleiner Pier und ein Pavillon aussah. Ein verzo‐
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    genes Holzschild trug in großen weißen Buchstaben die Inschrift:
    ›Camp Kilkare‹. In dieser Umgebung konnte ich mir keinen ver‐
    nünftigen Reim auf die

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