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Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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zeigen, daß ich noch
    da war. Aber ich sagte keinen Ton, aus Angst, ich könnte den Bann
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    brechen. Ich saß da, den Drink unangerührt in der Hand. Dabei trinke ich gern, nur dann nicht, wenn andere mich als ihr Tagebuch
    benutzen.
    Er fuhr traurig fort: »Aber Sie wissen, wie das so in der Ehe geht.
    In jeder Ehe. Nach einer bestimmten Zeit bekommt ’n Kerl wie ich,
    ein gemeiner mieser Kerl wie ich, Lust auf Schenkel. Auf andre Schenkel. Kann sein, daß das mies ist, aber so ist es nun mal.«
    Er sah mich an, und ich sagte, ich hätte so was ähnliches schon mal
    gehört.
    Er kippte sein zweites Glas hinunter. Ich gab ihm die Flasche. Ein
    Eichelhäher auf einer Tanne hüpfte von Ast zu Ast, ohne die Flügel
    zu bewegen und ohne auch nur im geringsten aus dem Gleichge‐
    wicht zu geraten.
    »Ja, ja«, sagte Bill Chess. »Alle Hinterwäldler werden eines Tages
    halbverrückt. Und mit mir geht’s genauso. Ich lebe hier, führe ein prima Leben, muß keine Miete zahlen, kriege jeden Monat meine
    Rente, die Hälfte in Kriegsanleihen, bin mit ’ner netten kleinen Blonden verheiratet. Und die ganze Zeit bin ich der alte Haufen Dreck und weiß es noch nicht mal. Und hänge mich an so was!« Er
    zeigte schroff auf das Rotholzhaus auf der anderen Seite des Sees, das sich im späten Licht des Nachmittags ochsenblutrot verfärbte.
    »Ausgerechnet im Vorgarten«, sagte er. »Ausgerechnet vor den eigenen Fenstern! Und mit einer aufgedonnerten kleinen Nutte, die mir so wichtig ist wie ’n Grashalm. Ach Gott, was für ’n geiler Schwächling man doch ist.«
    Er leerte sein drittes Glas und stellte die Flasche behutsam auf dem Felsen ab. Er fischte sich eine Zigarette aus seinem Hemd, entzündete ein Streichholz an seinem Daumennagel und paffte heftig und schnell. Ich atmete mit geöffnetem Mund und war so still wie ein Einbrecher hinter einer Gardine.
    »Zum Teufel«, sagte er schließlich. »Wenn Sie glauben, daß ich mir
    beim Fremdgehn wenigstens ’ne richtige Abwechslung geleistet
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    hätte. Vom Typ her, meine ich. Aber das kleine Flittchen da drüben
    war nicht mal ’ne Abwechslung. Sie war blond wie Muriel, gleich groß, gleiche Figur, gleicher Typ, fast auch die gleiche Augenfarbe.
    Aber, Mann, sonst, was für ’n Unterschied! Hübsch war sie, sicher.
    Aber hübscher bestimmt nicht, und für mich nur halb so hübsch. Ich
    bin also eines Morgens drüben, beim Abfallverbrennen, und küm‐
    mere mich um meine Sachen und um sonst nichts. Kommt die doch
    aus der Hintertür in einem so dünnen Pyjama, daß man die rosa Brustwarzen durch den Stoff sieht. Und sagt mit ihrer trägen,
    schlechten Stimme: ›Komm auf einen Schluck rein, Bill! Und arbeite
    nicht wie verrückt an so ’nem schönen Morgen!‹ Und ich? Ich nehm
    nur zu gern einen. Und so geh ich an die Küchentür und nehme einen. Und dann nehm ich noch einen und noch einen. Und dann bin ich im Haus. Und je näher ich komme, um so mehr macht die mir Schlafzimmeraugen…«
    Er unterbrach sich und streifte mich mit einem harten Blick.
    »Sie haben mich gefragt, ob die Betten drüben bequem sind, und ich bin sauer geworden. Ich weiß, Sie haben’s nicht so gemeint. Ich
    war nur voll von Erinnerungen. Ja, das Bett, in dem ich war, war bequem.«
    Er hörte auf zu erzählen, und ich ließ seine Worte in der Luft hän‐
    gen. Sie fielen langsam herab, und danach herrschte Stille. Er beugte
    sich vor, um die Flasche vom Felsen zu nehmen, und glotzte sie an.
    Er schien im Geist mit ihr zu kämpfen. Der Whisky gewann den Kampf, wie immer. Er nahm einen langen, wilden Schluck aus der Flasche und drehte dann den Deckel fest zu – als ob das etwas nützen könnte. Er hob einen Stein auf und ließ ihn über das Wasser hüpfen.
    »Ich kam über den Damm zurück«, sagte er langsam, mit einer
    Stimme, die schon schwer vom Alkohol war. »Ich kann mich verstel‐
    len wie ’ne Posaune, denke ich. Ich werd schon damit durchkommen, aber haste gedacht. Wir Männer machen uns ganz schön was
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    vor in solchen Situationen, oder? Ich bin jedenfalls mit nichts nicht durchgekommen. Mit gar nichts. Ich hörte Muriel zu, was sie mir zu
    sagen hatte, und sie ist nicht mal ein bißchen lauter geworden. Aber
    sie hat mir Sachen an den Kopf geknallt, nicht zu fassen. O ja, ich bin prima durchgekommen!«
    »Und dann hat sie Sie verlassen«, sagte ich, als er verstummte.
    »In der gleichen Nacht. Ich war nicht mal dabei. Ich fühlte mich zu
    elend, um halb nüchtern zu bleiben. Ich

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