Die Tote im See
mit
angewidertem Naserümpfen auf ihren Handschuh, mit dem sie den
Griff des Revolvers umklammert hatte. Dann fuhr sie im gleichen Ton verhuschter Logik fort. Meine Knie knackten, während sie sich
entkrampften.
»Na ja, für Sie ist es natürlich viel leichter«, sagte sie. »Ich meine wegen des Autos. Sie können’s im Notfall einfach wieder mitneh-men. Aber ein hübsch eingerichtetes Haus wegzunehmen ist nicht
so leicht. Einen Mieter loswerden kostet Zeit und Geld. Und es führt
fast immer zu Verbitterung und beschädigten Sachen, manchmal
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sogar absichtlich beschädigten. Der Teppich hier kostet über zweihundert Dollar. Gebraucht. Es ist nur ein Juteteppich, aber er hat hübsche Farben, finden Sie nicht auch? Man merkt überhaupt nicht,
daß er nur aus Jute ist und gebraucht. Aber das finde ich sowieso albern, denn sobald man einen Teppich benutzt, ist er sowieso schon
gebraucht. Und außerdem bin ich auch noch zu Fuß hergekommen,
um meine Reifen der Regierung zuliebe zu schonen. Natürlich hätte
ich auch einen Bus nehmen können. Aber die verflixten Dinger
kommen ja nie, wenn man sie braucht. Und wenn sie kommen, fah‐
ren sie in die falsche Richtung.«
Ich hörte kaum ein Wort von dem, was sie sagte. Es war wie eine
Brandung, die sich an einer unsichtbaren Stelle brach.
Der Revolver beanspruchte mein ganzes Interesse.
Ich nahm das Magazin heraus. Es war leer. Ich drehte den Revol‐
ver um und schaute in den Lauf. Er war ebenfalls leer. Ich schnüffel‐
te an der Mündung. Sie roch.
Ich schob den Revolver in meine Tasche. Eine Sechsschuß 25er Au‐
tomatic. Leer. Leergeschossen, und vor nicht allzu langer Zeit. Aber
auch nicht innerhalb der letzten halben Stunde.
»Ist damit geschossen worden?« fragte Mrs. Fallbrook sanft. »Ich hoffe doch nicht.«
»Gab’s denn irgendeinen Grund dafür?« fragte ich sie. Meine
Stimme war ruhig, aber mein Hirn sprang noch immer herum.
»Nun, er hat auf der Treppe gelegen«, sagte sie. »Und normalerweise sind Revolver zum Schießen da.«
»Wie recht Sie haben«, sagte ich. »Aber vielleicht hatte Mr. Lavery
auch nur ein Loch in der Tasche. Er ist doch nicht zu Hause?«
»O nein«, sie schüttelte den Kopf und blickte enttäuscht drein.
»Und ich finde das nicht sehr nett von ihm. Wo er mir doch den Scheck versprochen hat und ich zu Fuß hierher gekommen…«
»Wann haben Sie mit ihm telefoniert?« fragte ich.
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»Na gestern abend doch«, sagte sie mürrisch. Sie schätzte es offen‐
bar nicht, viel gefragt zu werden.
»Wahrscheinlich mußte er plötzlich fort«, sagte ich.
Sie blickte auf einen Punkt zwischen meinen großen braunen Au‐
gen.
»Sehen Sie, Mrs. Fallbrook«, sagte ich. »Lassen Sie uns endlich oh‐
ne Mätzchen reden, Mrs. Fallbrook. Nicht daß mir unsere Unterhal‐
tung bisher nicht gefallen hätte. Und nicht, weil ich so was gern sa‐
ge. Aber Sie haben ihn nicht zufällig erschossen, vielleicht weil er drei Monate mit der Miete im Rückstand war?«
Sie setzte sich sehr langsam auf eine Stuhlkante und arbeitete sich
mit ihrer Zungenspitze durch die scharlachrote Wunde ihres Mun‐
des.
»Nein, was für eine gräßliche Vorstellung!« sagte sie ärgerlich.
»Das war nicht besonders nett von Ihnen. Sie haben doch gesagt, daß mit diesem Revolver nicht geschossen worden ist.«
»Mit jedem Revolver ist mal geschossen worden. Jeder Revolver
war mal geladen. Der hier ist jetzt leer.«
»Also dann…« sie machte eine ungeduldige Handbewegung und
schnupperte an ihrem ölbefleckten Handschuh.
»Okay. Es war ’ne blöde Idee von mir. Nur ’n Witz. Mr. Lavery ist
nicht da, und Sie haben ihn im Haus gesucht. Als Hausbesitzerin haben Sie ’nen Schlüssel. Hab ich recht?«
»Ich wollte hier nicht eindringen«, sagte sie und nagte an einem Finger. »Vielleicht hätte ich’s besser bleiben lassen sollen. Aber ich habe ein Recht dazu, nachzusehen, ob hier alles in Ordnung gehalten wird.«
»Jetzt haben Sie also nachgesehen. Sind Sie ganz sicher, daß er nicht hier ist?«
»Unter den Betten und im Kühlschrank habe ich nicht gesucht«,
sagte sie kühl. »Ich habe von der Treppe runtergerufen, nachdem er
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aufs Klingeln nicht reagierte. Dann bin ich runtergegangen und ha‐
be ihn noch mal gerufen. Ich habe sogar einen Blick ins Schlafzimmer riskiert.« Sie senkte wie verschämt ihre Augen und rieb sich verlegen ihr Knie.
»Na, das war dann wohl alles«, sagte ich.
Sie nickte freundlich. »Ja,
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