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Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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wohl Mrs. Fallbrook von all dem gehalten
    hatte.
    Ich sah mich weiter um, bis ich mich auf einmal selbst in einer Spiegeltür erblickte. Der Türrahmen war weiß, die Tür hatte einen Kristallgriff. Ich öffnete sie, indem ich ein Taschentuch benützte. Der mit Zedernholz ausgeschlagene Wandschrank war ziemlich voll von
    Anzügen. Es roch anheimelnd nach Tweed. Aber es hingen nicht
    nur Anzüge in dem Schrank.
    Auch ein Kostüm hing da, ein schwarzweißes Kostüm, eher weiß,
    darunter standen weiße Schuhe, darüber, auf einem Regal, lag ein Panamahut mit einem schwarzweißen Band. Es gab noch andere
    Frauensachen, aber die sah ich mir nicht näher an.
    Ich schloß die Schranktür, verließ das Schlafzimmer und behielt 116
    das Taschentuch für weitere Türknöpfe in der Hand.
    Die verschlossene Tür neben dem Wäschewandschrank mußte
    zum Badezimmer führen. Ich rüttelte an der Tür, doch sie blieb ver‐
    schlossen. Ich beugte mich hinunter und entdeckte einen schmalen Öffnungsschlitz im Türknopf. Jetzt wußte ich, daß die Tür durch einen Knopfdruck auf der Innenseite verschlossen worden war und
    daß der Schlitz mit einem einfachen Schlüssel geöffnet werden
    konnte, für den Fall, daß jemand im Bad ohnmächtig wurde, oder falls die Kinder sich selbst eingesperrt hätten und allzu viel Unfug anstellten.
    Der Schlüssel dazu sollte eigentlich im obersten Fach des Wäsche‐
    schranks liegen, aber da war er nicht. Ich versuchte es mit meinem
    Taschenmesser, doch die Klinge war zu dünn. Ich holte mir eine Nagelfeile aus dem Schlafzimmer. Es klappte. Ich öffnete die Bade-zimmertür. Ein sandfarbener Pyjama hing über einem Wäschekorb.
    Ein Paar hellgrüner Hausschuhe lag auf dem Boden. Ein Rasierap-parat lag am Rand des Waschbeckens, daneben eine offene Rasier-cremetube. Das Badezimmerfenster war geschlossen, und ein ste‐
    chender, unverwechselbarer Geruch hing in der Luft.
    Drei leere Patronenhülsen glänzten kupfern auf den nilgrünen
    Bodenkacheln des Badezimmers, und in der Milchglasscheibe war
    ein nettes sauberes Loch. Links vom Fenster und darüber war der Anstrich abgekratzt, weiße Spuren von Einschlägen, wie sie Kugeln
    hinterlassen.
    Der Vorhang der Duschnische, der aus grüner und weißer imprä‐
    gnierter Seide war und an blitzenden Chromringen hing, war zuge‐
    zogen. Ich zog ihn zur Seite, wobei das dünne kratzende Geräusch
    der Ringe aus irgendeinem Grund unverschämt laut wirkte.
    Ich spürte ein leichtes Knacken im Nacken, als ich mich hinunter‐
    beugte. Er war da, so als ob das die normalste Sache der Welt wäre.
    Für ihn war es ohnehin gleichgültig, wo er war. Er war in der Ecke,
    zusammengesunken unter den beiden glänzenden Wasserhähnen,
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    und aus der verchromten Dusche tropfte langsam Wasser auf seine
    Brust.
    Seine Knie waren angezogen, aber schlaff. Die beiden Löcher in seiner Brust waren dunkelblau, beide konnten ihn getötet haben, so
    nah waren sie bei seinem Herz. Das Blut war augenscheinlich weg‐
    gewaschen.
    Seine Augen hatten einen seltsam wachen und erwartungsvollen
    Ausdruck, so als ob er den Morgenkaffee schon gerochen hätte und
    gerade zum Frühstück kommen wollte.
    Ein nettes tüchtiges Stück Arbeit. Man ist gerade mit dem Rasieren
    fertig, hat sich für die Dusche ausgezogen und beugt sich zur Duschecke hinein, um dem Wasser die richtige Temperatur zu geben. Hinter einem öffnet sich die Tür, und jemand kommt rein. Der
    Jemand muß zweifelsohne eine Frau gewesen sein. Mit einem Re‐
    volver. Man starrt auf den Revolver, und sie drückt ab.
    Drei ihrer Schüsse gehen daneben. Fast unmöglich auf eine so
    kurze Entfernung, aber so geht es. Vielleicht ist es nie anders, wer weiß. Ich war so selten dabei.
    Es gibt kein Entkommen mehr. Man kann sie anspringen, als letzte
    Chance, wenn man der Typ dazu ist und wenn man drauf gedrillt ist. Aber wenn man sich zu den Duschhähnen bei geschlossenem
    Vorhang vorbeugt, hat man kein gutes Gleichgewicht. Außerdem ist
    man höchstwahrscheinlich vor Schrecken starr, wenn man auch
    sonst nicht anders reagiert als alle ändern.
    Also weicht man zurück, so weit es geht, aber eine Duschecke ist
    ein enger Raum, der bis zu den Kachelwänden reicht, nicht weiter.
    So steht man mit dem Rücken zur Wand, zur letzten Wand. Es bleibt
    einem kein Raum mehr und kaum noch Leben. Und dann fallen
    zwei weitere Schüsse, vielleicht auch drei, und man gleitet die Wand
    hinunter und hat nicht einmal mehr erschrockene Augen.

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