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Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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das wäre alles. Und wie war doch gleich
    Ihr Name?«
    »Vance«, sagte ich. »Philo Vance.«
    »Und für wen arbeiten Sie, Mr. Vance?«
    »Im Augenblick bin ich arbeitslos«, sagte ich. »Bis der Polizeichef
    wieder mal nicht weiter weiß.«
    Sie sah mich verblüfft an. »Sagten Sie nicht, daß Sie wegen der Au‐
    toraten hier wären?«
    »Das ist nur ’n Nebenjob«, sagte ich. »Wenn ich grade nichts Bes‐
    seres zu tun habe.«
    Sie stand auf und sah mich streng an. Kühl sagte sie: »Wenn das so
    ist, haben Sie hier länger nichts zu suchen.«
    Ich sagte: »Ich denke, ich sollte mich erst mal ein bißchen hier um‐
    sehen, falls Sie nichts dagegen haben. Vielleicht haben Sie ja was übersehen.«
    »Ich glaube nicht, daß das nötig sein wird«, sagte sie. »Das ist mein Haus. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie jetzt gingen, Mr.
    Vance.«
    Ich sagte: »Und wenn ich nicht gehe? Wen wollen Sie dann statt mir rauswerfen? Setzen Sie sich ruhig wieder hin, Mrs. Fallbrook.
    Ich schau mir nur eben rasch das Haus an. Denn das mit dem Revolver, das ist schon ein bißchen komisch, nicht wahr?«
    »Aber ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich ihn auf der Treppe ge‐
    funden habe«, sagte sie ärgerlich. »Das ist alles, was ich weiß. Von Revolvern verstehe ich sowieso nichts. Ich habe noch nie mit so einem Ding geschossen.« Sie öffnete ihre riesige blaue Tragtasche, 114
    nahm ein Taschentuch heraus und schneuzte sich.
    »Das sagen Sie«, sagte ich. »Aber das muß ich Ihnen nicht blind glauben.«
    Sie streckte mir ihre linke Hand mit einer pathetischen Geste ent‐
    gegen – eine Gestrauchelte in einem Melodrama.
    »Oh, ich hätte das nicht machen dürfen!« rief sie. »Das war
    schrecklich von mir. Ich weiß das. Mr. Lavery wird sehr böse sein.«
    »Sie durften nur eins nicht«, sagte ich. »Nämlich mir den leeren Revolver zeigen. Bis dahin waren Sie in der Vorhand.«
    Sie stampfte mit dem Fuß. Nur das hatte zur großen Szene noch gefehlt. Jetzt war sie perfekt.
    »Was soll das heißen?« kreischte sie. »Sie sind ein widerlicher Mensch. Wagen Sie es nicht, mich anzurühren! Kommen Sie mir ja
    nicht näher! Hier bleibe ich keine Minute länger! Wie können Sie sich unterstehen, mich so zu beleidigen!«
    Ihre Stimme überschlug sich und schnurrte dann beim Luftholen
    zusammen wie ein Gummiband. Dann senkte sie den Kopf mitsamt
    dem Purpurhut und stürzte zur Tür. Als sie an mir vorbeihastete, streckte sie abwehrend ihre Hand aus, als wollte sie sich mich vom
    Leibe halten. Dabei stand ich weit genug weg und rührte mich nicht.
    Sie stieß die Tür weit auf, stürmte hindurch, den Weg hinauf zur Straße. Die Tür schloß sich langsam wieder, das Schließgeräusch wurde von ihren raschen Schritten übertönt.
    Ich ließ einen Fingernagel über meine Zähne gleiten und trommel‐
    te mit einem Fingerknöchel gegen mein Kinn, während ich lauschte.
    Dabei war nirgends auch nur das geringste zu hören. Nur der leer‐
    geschossene Sechsschußrevolver.
    »Irgendwas stimmt nicht«, sagte ich laut. »Irgendwas ist faul an dieser ganzen Szene.«
    Das Haus wirkte jetzt unnatürlich still. Ich ging auf dem aprikot‐
    farbenen Teppich durch den Spitzbogen zur Treppe. Einen Augen‐
    blick blieb ich stehen und lauschte wieder. Ich zuckte die Achseln 115
    und ging leise die. Treppe hinunter.
    Die untere Halle hatte je eine Tür an beiden Stirnseiten und zwei
    nebeneinander liegende Türen in der Mitte. Eine davon gehörte zu
    einem Wäschewandschrank, die andere war verschlossen. Ich ging
    zur Stirnseite und öffnete die Tür zu einem Gästeschlafzimmer mit
    zugezogenen Vorhängen und keinerlei Anzeichen von Benutzung.
    Ich ging zur gegenüberliegenden Seite und kam in ein anderes
    Schlafzimmer mit einem breiten Bett, einem mokkafarbenen Tep‐
    pich, rechteckigen Möbeln aus hellem Holz, einem Spiegelkasten
    über dem Ankleidetisch und einer langen Neonlampe über dem
    Spiegel. Auf einem Spiegelglastisch in der Ecke stand ein Windhund
    aus Kristall und neben ihm eine Kristallschale mit Zigaretten.
    Auf dem Ankleidetisch lag verstreutes Gesichtspuder. Ein Hand‐
    tuch mit Lippenstiftspuren hing über einem Papierkorb. Auf dem
    Bett lagen zwei Kissen nebeneinander, beide zeigten den Eindruck,
    wie ihn Schlafende hinterlassen. Unter einem Kopfkissen schaute
    ein Damentaschentuch heraus. Ein schwarzer Pyjama lag auf dem
    Fußende des Bettes. Ein fast zu aufdringlicher Sandelholz‐Geruch hing in der Luft.
    Ich malte mir aus, was

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