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Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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auf Wiedersehen und legte auf. Ich zog mich fertig an und fuhr hinunter in die Tiefgarage, um meinen Chrysler zu holen. Ich startete wieder nach Bay City.

    Ich fuhr über die Kreuzung der Altair Street hinaus, ihre Quergasse entlang bis zum Rand des Canons, wo sie in einem halbkreisförmigen Parkplatz mit einem Gehsteig und einem weißen Holzgeländer
    endete. Dort blieb ich eine Weile im Auto sitzen und dachte nach, während ich aufs Meer hinausschaute und die blaugrauen Berghän-ge am Ozean bewunderte. Ich versuchte mir klar darüber zu werden, ob ich Lavery mit Samthandschuhen anfassen oder ob ich ihm
    die Zähne zeigen sollte. Ich kam zu dem Schluß, daß ich mir mit der
    sanften Tour nichts vermasseln könnte. Falls die nicht verfangen sollte – und ich glaubte nicht so recht, daß sie’s täte –, könnte ich immer noch den Dingen ihren natürlichen Lauf lassen – bis die Fetzen flogen.
    Die gepflasterte Allee, die ungefähr auf halber Höhe unterhalb der
    Häuser und oberhalb des Strands verlief, war leer. Darunter, auf dem nächsten Hügelweg, warfen ein paar Kinder einen Bumerang
    hügelaufwärts und jagten ihm mit dem üblichen Aufwand von Ell‐
    bogengeschiebe und Schreierei hinterdrein. Noch weiter unten lag ein Haus, eingehüllt von Bäumen und einer roten Ziegelmauer.
    Vom Hinterhof erwischte man einen Blick voller Wäsche, die an
    einer Leine flatterte, und zwei Tauben stolzierten über die Dach-schräge und nickten mit ihren Köpfen. Ein blaubrauner Bus kam die
    Straße vor dem Ziegelhaus entlanggewackelt. Er hielt, und ein sehr
    alter Mann stieg langsam und vorsichtig aus, stellte sich umständlich auf das Pflaster und stieß seinen kräftigen Stock gegen den Bo‐
    den, bevor er sich daran machte, den Hügel hinaufzukrauchen.
    Die Luft war klarer als gestern. Der Morgen war friedvoll. Ich stieg
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    aus dem Wagen und stiefelte zur Altair Street, zur Hausnummer
    623.
    Die Jalousien an den Vorderfenstern waren heruntergelassen, und
    das Haus machte einen verschlafenen Eindruck.
    Ich ging über das Koreanische Moos hinunter und klingelte und
    sah, daß die Tür nicht ganz geschlossen war. Sie hatte sich, wie die
    meisten Türen bei uns, ein wenig im Rahmen verzogen, und so war
    das Schnappschloß nur leicht gegen das untere Ende des Schließ‐
    blechs verhakt. Ich erinnerte mich, wie die Tür gestern geklemmt hatte, als ich gegangen war.
    Ich gab der Tür einen leichten Stoß, und sie öffnete sich mit einem
    leisen Klicken ein wenig nach innen. Der Raum war dämmrig, nur durch die Westfenster kam Licht. Auf mein Klingeln hatte sich niemand gerührt. Und ich läutete kein zweites Mal. Ich schob die Tür
    ein Stückchen weiter auf und ging hinein.
    Im Raum war ein leichter warmer Geruch, der Geruch eines spä‐
    ten Vormittags in einem Haus, das noch nicht gelüftet worden ist.
    Die Flasche mit dem Vat 69 auf dem runden Tisch neben dem Sofa war fast leer, eine zweite volle Flasche stand wartend daneben. Im kupfernen Eiskübel war der Boden ein wenig mit Wasser bedeckt.
    Zwei Gläser waren benutzt worden, und eine halbe Flasche Soda
    war aufgebraucht.
    Ich schloß die Tür wieder zu, ungefähr so, wie ich sie vorgefunden
    hatte, blieb dann stehen und lauschte. Falls Lavery nicht zu Hause wäre, so dachte ich, könnte ich die Gelegenheit ausnützen und die Bude gründlich filzen. Viel hatte ich nicht gegen ihn in der Hand, aber es war wahrscheinlich genug, um ihn davon abzuhalten, die Bullen zu rufen.
    Still verstrich die Zeit. Sie verstrich im dünnen Surren der elektri‐
    schen Uhr auf dem Kaminsims und im entfernten Tuten einer Auto‐
    hupe auf dem Aster Drive, im Hornissenbrummen eines Flugzeugs
    über den Hängen jenseits des Canons und im plötzlichen Klirren 108
    und Summen des elektrischen Kühlschranks in der Küche.
    Ich ging weiter in den Raum hinein und blieb stehen, blickte mich
    um und lauschte wieder, aber es war nichts zu hören, von den festen
    Geräuschen abgesehen, die zu einem Haus gehören und nichts mit
    seinen Bewohnern zu tun haben. Ich ging über den Teppich, auf den
    Spitzbogen hinten im Haus zu.
    Eine Hand in einem Handschuh erschien auf dem von unten auf‐
    steigenden weißen Treppengeländer hinter dem Spitzbogen, wo die
    Treppe hinunterführte. Sie erschien und hielt inne.
    Sie bewegte sich wieder, der Hut einer Frau tauchte auf, dann ihr
    Kopf. Die Frau kam leise die Treppe herauf. Schließlich war sie ganz
    oben, kam durch den Spitzbogen und schien mich immer

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