Die Tote im See
sah wie ver‐
steinert aus. Er hatte die Zähne zusammengepreßt. Er atmete lang‐
sam und rieb sich seine Knie.
»Weiter«, sagte er mit einer Stimme, die so klein wie eine Murmel
war.
Ich blickte mich über den Rücken der Sessellehne um. Der nächst‐
liegende Großvater klang nach Schlaf, die grauen Härchen in seiner
Nase bewegten sich beim Atmen vor und zurück.
»Niemand hat sich in Laverys Haus gerührt«, sagte ich. »Die Tür
war nur halb eingeschnappt. Ich hatte gestern schon gemerkt, daß sie klemmt. Also ging ich hinein. Das Zimmer war dunkel, zwei benutzte Gläser standen herum. Es war sehr ruhig im Haus. Plötzlich kommt eine schlanke dunkle Dame, die sich Mrs. Fallbrook
nannte, sie ist die Hausbesitzerin, die Treppe herauf und hält mit ihrem Handschuh einen Revolver. Sagt, sie hätte ihn auf der Treppe
gefunden. Sagt auch, daß sie wegen drei Monaten Mietrückstand
kommt. Ist mit ihrem Schlüssel reingekommen. Man kann anneh‐
men, daß sie die Gelegenheit ausgenutzt hat, um herumzuschnüf‐
feln und sich das Haus genauer anzusehen.
Ich nahm ihr den Revolver ab und merkte, daß kurz zuvor damit
geschossen worden war. Davon sagte ich ihr nichts. Sie sagte, Lave‐
ry sei nicht zu Hause. Bin sie losgeworden, indem ich sie gereizt habe, bis sie empört davonrauschte. Möglich, daß sie die Polizei 121
anruft, aber höchstwahrscheinlich wird sie draußen eher Schmetter‐
linge fangen und alles vergessen außer ihrer Miete.«
Ich machte eine Pause. Kingsley hatte seinen Kopf zu mir ge‐
wandt, seine Kinnbacken arbeiteten angestrengt, um die Zähne zu‐
sammengepreßt zu halten. Seine Augen sahen krank aus.
»Ich bin die Treppe hinuntergegangen. Man sah Spuren, daß eine
Frau über Nacht da war. Ein Pyjama, Puder, Parfüm und so weiter.
Das Bad war verschlossen, aber ich hab’s aufbekommen. Drei Patro‐
nenhülsen auf dem Boden, zwei Einschüsse in der Wand, einer im Fenster. Lavery in der Duschecke, nackt und tot.«
»Oh, mein Gott«, flüsterte Kingsley. »Wollen Sie damit sagen, daß
er die letzte Nacht mit einer Frau verbracht hat, die ihn heute mor‐
gen im Bad erschossen hat?«
»Na, was wollte ich denn sonst sagen? Was meinen Sie?« fragte ich.
»Sprechen Sie leise«, stöhnte er. »Das ist ein Schlag für mich, na-türlich. Warum ausgerechnet im Badezimmer?«
»Sprechen Sie erst mal selber leise«, sagte ich. »Warum nicht im Badezimmer? Können Sie sich einen anderen Ort denken, wo ein
Mann so total wehrlos ist?«
Er sagte: »Aber Sie wissen nicht genau, daß die Frau ihn erschos‐
sen hat. Ich meine, es ist nicht sicher, oder?«
»Nein«, sagte ich. »Das ist richtig. Vielleicht war es auch jemand,
der einen kleinen Revolver benutzte und damit sorglos herumballer‐
te, damit es nach einer Frau aussieht. Das Bad liegt praktisch im Berg drinnen, das Fenster zum Hang.
Ich glaube, Schüsse von da unten kann man nicht so leicht hören,
wenn man nicht im Haus ist. Vielleicht ist die Frau, die über Nacht
da war, morgens weggegangen – vielleicht war’s ja überhaupt keine
Frau. Vielleicht ist der Augenschein bewußt vorgetäuscht. Vielleicht
haben Sie ihn erschossen.«
»Weswegen hätte ich ihn erschießen sollen?« Er ächzte fast, wäh‐
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rend er seine Knie fest zusammenpreßte. »Ich bin ein zivilisierter Mensch.«
Es lohnte sich nicht, darauf zu antworten. Ich sagte: »Besitzt Ihre Frau einen Revolver?«
Er drehte mir sein erbärmlich verkrampftes Gesicht zu und sagte mit hohler Stimme: »Guter Gott! Das können Sie doch nicht im Ernst
glauben, Mensch!«
»Hat sie einen Revolver?«
Er brachte die Worte in kleinen klumpigen Stücken heraus. »Ja.
Eine kleine Automatic.«
»Haben Sie ihn ihr hier gekauft?«
»Ich – ich habe ihn überhaupt nicht gekauft. Ich habe ihn einem Betrunkenen auf einer Party weggenommen. In San Francisco, vor
etlichen Jahren. Er fuchtelte damit herum und hielt das für besonders witzig. Ich hab ihn behalten.« Er preßte die Kinnbacken noch fester zusammen, die Backenknochen schimmerten weiß. »Wahrscheinlich erinnert er sich überhaupt nicht mehr daran, wo und wann er seinen Revolver losgeworden ist. Er war ein ziemlicher Saufkopf.«
»Das klingt fast zu schön«, sagte ich. »Können Sie sich an den Re‐
volver erinnern?«
Er dachte angestrengt mit vorgeschobenem Kinn und halb ge‐
schlossenen Augen nach. Ich sah mich wieder über die Sessel hinweg um. Einer der älteren Schläfer war von
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