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Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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gekannt.«
    »Jetzt wollen Sie also doch noch Ihren Schmutz ausbreiten«, sagte
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    sie ruhig.
    »Gehört das Taschentuch Ihnen, ja oder nein?«
    Sie zögerte. Sie beugte sich zum Tisch vor, nahm sich ganz ruhig
    eine Zigarette und zündete sie mit einem Streichholz an. Sie beweg‐
    te das Streichholz langsam hin und her und schien die Flamme zu beobachten, wie sie am Holz hochkroch.
    »Ja, es gehört mir«, sagte sie. »Ich muß es dort verloren haben.
    Aber das ist lange her. Und ich kann Ihnen versichern, daß ich es nicht unter sein Kopfkissen gesteckt habe. Wollten Sie das wissen?«
    Ich sagte kein Wort, und sie fügte hinzu: »Er muß es einer anderen
    Frau geliehen haben, die… die ein derartiges Parfüm mag.«
    »Ich kann mir eine solche Frau gut ausmalen«, sagte ich. »Aber sie
    paßt ganz und gar nicht zu Lavery.«
    Ihre Oberlippe kräuselte sich leicht. Sie hatte eine lange Oberlippe.
    Und ich mag lange Oberlippen.
    »Ich glaube«, sagte sie, »Sie müssen sich Chris Lavery noch etwas
    genauer ausmalen. Jeder Anschein von verfeinertem Geschmack ist
    da rein zufällig.«
    »Das ist nicht nett von Ihnen. So spricht man nicht über einen To‐
    ten«, sagte ich.
    Einen Augenblick lang saß sie da und starrte mich an, als hätte ich
    überhaupt nichts gesagt und als ob sie darauf wartete, daß ich etwas
    sagen würde. Dann bemerkte ich ein leichtes Frösteln an ihrem Hals,
    das bald ihren ganzen Körper erfaßte. Sie verkrampfte ihre Hände und verbog dabei ihre Zigarette. Sie sah sie an und warf sie mit einer hastigen Bewegung in den Aschenbecher.
    »Er wurde unter der Dusche erschossen«, sagte ich. »Und es sieht
    ganz so aus, als hätte’s ’ne Frau getan, die die Nacht bei ihm verbracht hat. Er war gerade beim Rasieren. Die Frau hat ihren Revol‐
    ver auf der Treppe und das Taschentuch im Bett vergessen.«
    Sie bewegte sich fast unmerklich auf ihrem Stuhl. Ihre Augen wa‐
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    ren jetzt vollkommen leer. Ihr Gesicht war kalt wie Marmor.
    »Und Sie erwarten von mir, daß ich Ihnen was dazu sagen kann?«
    fragte sie verbittert.
    »Schauen Sie, Miss Fromsett, ich würde darüber auch lieber höflich und zartfühlend und feinsinnig hinwegplaudern. Ich würde die
    Sache liebend gern so abziehen, wie jemand wie Sie sie liebend gern
    abgezogen hätte. Aber man läßt mich nicht. Meine Auftraggeber
    nicht, nicht die Bullen und auch nicht die Leute, gegen die ich spie‐
    len muß. So sehr ich mich auch anstrenge, nett zu sein – immer habe
    ich am Ende meine Nase im Dreck und meinen Daumen jemand
    aufs Auge gedrückt.«
    Sie nickte so, als ob sie mich kaum gehört hätte. »Wann wurde er
    erschossen?« fragte sie und begann wieder leicht zu zittern.
    »Heute morgen, nehme ich an. Kurz, nachdem er aufgestanden
    war. Wie ich sagte: er war gerade mit dem Rasieren fertig und woll‐
    te duschen.«
    »Das«, sagte sie, »war wahrscheinlich ziemlich spät. Ich bin seit halb neun hier.«
    »Ich habe nicht gedacht, daß Sie ihn erschossen haben.«
    »Sie sind zu gütig«, sagte sie. »Aber es ist mein Taschentuch, oder?
    Obwohl nicht mein Parfüm. Aber ich glaube kaum, daß Polizisten auf ein Parfüm besonders zartfühlend achten. Oder überhaupt besonders zartfühlend sind.«
    »Sicher nicht. Und das gleiche gilt für Privatdetektive«, sagte ich.
    »Hoffentlich genießen Sie das ausgiebig.«
    »Gott«, sagte sie und preßte ihren Handrücken gegen ihren Mund.
    »Auf ihn ist fünf‐ oder sechsmal geschossen worden«, sagte ich.
    »Und er wurde nur zweimal getroffen. Er war in der Duschecke wie
    festgenagelt. Keine schöne Szene, könnte ich mir vorstellen. Da war
    eine ganze Menge Haß mit im Spiel. Oder eine ganze Menge Kalt-blütigkeit.«
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    »Er war leicht zu hassen«, sagte sie leer. »Und gefährlich leicht zu
    lieben. Frauen, auch zurückhaltende Frauen, fallen oft idiotisch auf
    Männer rein.«
    »Was Sie damit sagen wollen, heißt doch, daß Sie mal gedacht ha‐
    ben, Sie lieben ihn, daß Sie’s nicht mehr denken und daß Sie ihn nicht erschossen haben.«
    »Ja.« Ihre Stimme war jetzt klar und trocken, wie das Parfüm, das
    sie nicht gern im Büro trug. »Ich hoffe, Sie wissen meine Offenheit zu würdigen.« Sie lachte kurz und bitter. »Tot«, sagte sie. »Der ar-me, selbstsüchtige, billige, schäbige, hübsche, verlogene Kerl. Tot und kalt und vorbei. Nein, Mr. Marlowe, ich habe ihn nicht erschossen.«
    Ich wartete und ließ sie es verarbeiten. Nach einer Weile sagte sie
    ruhig: »Weiß es

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