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Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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Zimmer hinaus. Die kleine Blonde an der Tele‐
    fonvermittlung sah mich, die Lippen leicht geöffnet, in der Erwar-142
    tung auf einen weiteren Spaß an.
    Ich hatte keinen mehr. Ich ging hinaus.

    Keine Streifenwagen standen vor Laverys Haus, niemand stand auf dem Gehsteig herum, und als ich die Haustür aufstieß, roch es von drinnen weder nach Zigarren‐ noch nach Zigarettenrauch. Die Sonne
    war aus den Fenstern verschwunden, und eine Fliege summte um die
    Whiskygläser. Ich ging durch den Raum und beugte mich über das Treppengeländer. Nichts rührte sich in Laverys Haus. Nichts war zu
    hören, außer von sehr weit unten aus dem Badezimmer die trägen Wassertropfen, die auf die Schultern eines Toten fielen.
    Ich ging zum Telefon und suchte mir im Telefonbuch die Nummer
    der Polizei. Ich wählte und zog, während ich wartete, den kleinen Revolver aus der Tasche und legte ihn auf den Tisch neben dem Telefon.
    Als eine Männerstimme sagte: »Polizei, Bay City. Hier spricht
    Smoot«, sagte ich: »Hier war ’ne Schießerei. 623 Altair Street. Ein gewisser Lavery wohnt hier. Er ist tot.«
    »Sechs‐zwei‐drei, Altair Street. Wer spricht dort?«
    »Ich heiße Marlowe.«
    »Sie sind im Haus?«
    »Genau.«
    »Fassen Sie ja nichts an.«
    Ich legte auf, setzte mich aufs Sofa und wartete.
    Nicht sehr lang. Von weitem heulte eine Sirene auf und wurde, während sie verebbte und anschwoll, immer lauter. Reifen quietschten an der Ecke, und das Heulen der Sirene erstarb zu einem metal‐
    lischen Brummen. Dann Stille, und dann quietschten die Reifen vor
    dem Haus. Die Bay‐City‐Polizei half der Regierung Gummi sparen.
    Schritte ertönten auf dem Gehsteig, ich stand auf und öffnete die Haustür.
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    Zwei uniformierte Polizisten stürzten herein. Es waren die üblichen riesigen Kerle, und sie hatten die übliche verwitterte Haut und
    die üblichen mißtrauischen Augen. Einer hatte eine Nelke unter
    seiner Mütze, sie steckte hinter seinem rechten Ohr. Der andere war
    älter, schon etwas grauhaarig und grimmig. Sie standen da und sa‐
    hen mich ausgiebig an. Dann sagte der Ältere knapp:
    »Okay. Wo?«
    »Unten im Badezimmer, hinten in der Duschecke.«
    »Du bleibst bei ihm, Eddie!«
    Er durchquerte hastig das Zimmer und verschwand. Der andere
    starrte mich gründlich an und sagte mit nur einem Mundwinkel:
    »Keine falsche Bewegung, Kumpel!«
    Ich setzte mich wieder aufs Sofa. Der Polizist durchmusterte den Raum mit seinen Augen. Von unten hörte man Geräusche, Schritte.
    Der Polizist entdeckte plötzlich den Revolver auf dem Telefontisch.
    Er stürzte sich darauf, wie ein Torwart auf den Ball.
    »Ist das die Mordwaffe«, sagte er fast brüllend.
    »Ich könnt’s mir vorstellen. Abgefeuert ist er jedenfalls.«
    »Ha!« Er beugte sich über den Revolver, während er seine Zähne
    nach mir fletschte, und fuhr mit einer Hand an seine Pistolentasche.
    Seine Finger nestelten den Verschluß auf, und er faßte nach dem Griff eines schwarzen Revolvers.
    »Was könnten Sie?« bellte er.
    »Ich könnt’s mir vorstellen.«
    »Das ist sehr gut«, höhnte er. »Schon sehr gut.«
    »So gut nun auch wieder nicht«, sagte ich.
    Er fuhr ein wenig zurück. Seine Augen beobachteten mich sorgfäl‐
    tig. »Warum haben Sie ihn erschossen?« fragte er grollend.
    »Das frage ich mich auch schon die ganze Zeit.«
    »Auch noch ’n Schlauberger.«
    »Warum setzen wir uns nicht einfach hin und warten auf die
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    Jungs von der Mordkommission?« sagte ich. »Dann kann ich mir
    meine Verteidigung jetzt sparen.«
    »Kommen Sie mir bloß nicht so«, sagte er.
    »Ich komme Ihnen überhaupt nicht. Wenn ich ihn erschossen hät‐
    te, wäre ich jetzt nicht hier. Ich hätte Sie auch kaum gerufen. Und Sie hätten wohl keinen Revolver hier gefunden. Aber wozu zerbrechen
    Sie sich unnötig Ihren Kopf. In spätestens zehn Minuten sind Sie den Fall sowieso los.«
    Er sah mich gekränkt an. Er nahm seine Mütze ab, und die Nelke
    fiel zu Boden. Er bückte sich, hob sie auf, drehte sie zwischen seinen
    Fingern und warf sie dann in den Kamin.
    »Das tun Sie besser nicht«, erklärte ich ihm. »Die denken sonst, das sei ’ne Spur, und verlieren ’nen Haufen Zeit.«
    »Ach Scheiße.« Er beugte sich über das Kamingitter, hob die Nelke
    auf und steckte sie in die Tasche. »Sie wissen wohl auf alles ’ne Antwort, was, Kumpel?«
    Der andere Polizist kam die Treppe herauf und sah ernst aus. Er blieb mitten im Zimmer stehen, sah auf seine Armbanduhr,

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