Die Tote im See
werde Sie jetzt was fragen, und ich will eine ehrliche Antwort. Sie werden sie mir nicht geben wollen, aber Sie können das ebensogut jetzt tun wie später. Sie wissen, daß
ich sie zuletzt doch kriege. Die Frage ist die: Sie haben sich im Haus
hier umgesehen, und zwar gründlich, könnt ich mir vorstellen. Ha‐
ben Sie irgendwas entdeckt, das darauf schließen läßt, daß die Dame
Kingsley hier war?«
»Das ist eine unfaire Frage«, sagte ich. »Denn sie verlangt vom Zeugen eine Schlußfolgerung.«
»Ich möchte Ihre Antwort hören«, sagte er grimmig. »Wir stehn
hier nicht vor Gericht.«
»Meine Antwort lautet ja«, sagte ich. »Im Kleiderschrank unten
hängen ein paar Sachen, die mir jemand beschrieben hat, der sie an
Mrs. Kingsley in San Bernardino gesehen hat, und zwar an dem
Abend, als sie Lavery getroffen hat. Natürlich war das keine genaue
Beschreibung. Ein schwarzweißes Kostüm, mehr weiß, und ein Pa‐
namahut mit einem schwarzweißen Band.«
Degarmo schnippte mit dem Finger gegen den Briefumschlag, den
er in der Hand hielt. »Einfach großartig, wie Sie sich für die Leute einsetzen, für die Sie arbeiten. Jetzt haben Sie uns die Frau im richtigen Moment ins Haus gebracht, wo jemand ermordet worden ist.
Und es ist ausgerechnet die Frau, mit der er abgehauen sein soll.
Chef, ich glaube, wir brauchen jetzt nicht mehr lange nach dem Mörder zu suchen.«
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Webber sah mich wie fixiert an, sein Gesicht war ausdruckslos, aber sehr wachsam. Er nickte wie abwesend zu dem, was Degarmo
gesagt hatte.
Ich sagte: »Ich nehme an, ihr seid mehr als nur ’n Haufen verdammter Idioten. Die Kleider sind schließlich irgendwo gekauft
worden, und das läßt sich ja rausfinden. Ich habe Ihnen also eine Stunde Zeit erspart. Vielleicht auch nur einen Anruf.«
»Noch was?« fragte Webber ruhig.
Bevor ich überhaupt antworten konnte, hielt ein Wagen vor dem
Haus, und dann ein zweiter. Webber spurtete zur Tür und öffnete sie. Drei Männer kamen herein; ein kleiner mit Locken, und ein gro‐
ßer, der stark aussah wie ein Ochse. Beide trugen schwere schwarze
Lederkoffer. Hinter ihnen kam ein großer dünner Mann in einem
dunkelgrauen Anzug mit einer schwarzen Krawatte. Er hatte sehr
klare Augen und ein Pokergesicht. , Webber zeigte mit dem Finger
auf den Lockenkopf und sagte: »Unten im Badezimmer, Busoni. Ich
möchte möglichst viele Fingerabdrücke aus dem ganzen Haus. Be‐
sonders solche, die nach ’ner Frau aussehen. Das gibt ’n Haufen Ar‐
beit.«
»Ich werd’s schon schaffen«, knurrte Busoni. Er und der ochsen-starke Kerl machten sich auf den Weg und gingen die Treppe hinun‐
ter.
»Wir haben ’ne Leiche für Sie, Garland«, sagte Webber zu dem
dritten Mann. »Laß uns runtergehen und sie uns anschauen. Haben
Sie den Leichenwagen schon bestellt?«
Der klaräugige Mann nickte kurz. Dann folgte er Webber und den
beiden anderen hinunter.
Degarmo legte Umschlag und Bleistift beiseite. Er sah mich kalt an.
Ich sagte: »Vermutlich hätte ich was über unser gestriges Gespräch
sagen sollen. Oder war das ’ne reine Privatangelegenheit?«
»Sprechen Sie, worüber Sie wollen«, sagte er. »Es ist unsre Aufga‐
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be, die Bürger zu schützen.«
»Das sagten Sie schon«, sagte ich. »Ich würde gerne ’n bißchen mehr über den Fall Almore erfahren.«
Er wurde langsam rot und bekam einen gehässigen Blick: »Sie ha‐
ben doch gesagt, daß Sie Almore nicht kennen.«
»Gestern kannte ich ihn auch noch nicht und wußte auch noch
nichts über ihn. Doch inzwischen habe ich erfahren, daß Lavery Mrs. Almore gekannt hat, daß sie Selbstmord begangen hat, daß
Lavery sie aufgefunden hat und daß er zumindest in dem Verdacht
stand, den Doktor zu erpressen. Auch eure beiden Jungs von der Streife machten sich scheinbar Gedanken darüber, daß die beiden Häuser gegenüber liegen. Und einer der beiden erwähnte, daß der Fall hübsch vertuscht wurde oder so was ähnliches.«
Degarmo sagte mit einem langsamen, tödlichen Tonfall: »Dem
Hurensohn reiß ich höchst eigenhändig sein Abzeichen runter. Maul
aufreißen, das ist alles, was die können. Diese gottverdammten idio‐
tischen Bastarde.«
»Also ist an der Geschichte nichts dran«, sagte ich.
Er betrachtete seine Zigarette. »Woran dran?«
»Daran, daß Almore vielleicht seine Frau umgebracht hat und ge‐
nügend Einfluß besitzt, um den Deckel drauf zu halten.«
Degarmo kam zum Stehen, marschierte auf mich
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