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Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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den Auto‐
    Club angerufen und dann meinen Namen im Branchenverzeichnis
    nachgeschlagen. Das hätte ich zumindest an seiner Stelle getan. Und
    wie ich ihn durchs Fenster beobachtete, machte er entsprechende Gesten.«
    »Also arbeitet die Polizei für ihn«, sagte Grayson.
    »Nicht unbedingt. Vielleicht haben die ja damals einen Fehler ge‐
    macht und wollen bloß nicht, daß das jetzt rauskommt.«
    »Einen Fehler«, er lachte fast schrill.
    »Okay«, sagte ich. »Es ist schmerzlich für Sie, drüber zu sprechen,
    aber ein wenig Klarheit könnte nicht schaden. Sie haben immer ge‐
    glaubt, daß er sie ermordet hat, habe ich recht? Deshalb haben Sie diesen Schnüffler, diesen Detektiv engagiert.«
    Mrs. Grayson sah mich mit einem raschen Blick an, beugte ihren Kopf wieder vor und rollte ein Paar gestopfte Socken zusammen.
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    Grayson schwieg.
    Ich sagte: »Gab es denn irgendwelche Anzeichen oder dachten
    Sie’s nur, weil Sie ihn nicht ausstehen können?«
    »Es gab schon Anzeichen«, sagte Grayson bitter und mit einer
    plötzlich klaren Stimme, als ob er auf einmal entschlossen wäre, über alles zu reden. »Es muß welche gegeben haben. Man hat uns erzählt, daß es welche gäbe. Aber mehr haben wir nie erfahren. Da-für hat die Polizei schon gesorgt.«
    »Ich habe gehört, daß die den Mann festgenommen und wegen
    Trunkenheit am Steuer eingebuchtet haben.«
    »Da haben Sie richtig gehört.«
    »Und hat er Ihnen nie erzählt, was er in der Hand hat?«
    »Nein.«
    »Das gefällt mir gar nicht«, sagte ich. »Das wirkt ein bißchen so, als sei sich der Kerl noch nicht schlüssig geworden, ob er sein Wissen in Ihrem Interesse verwenden oder für sich behalten solle, um den Doktor unter Druck zu setzen.«
    Grayson sah wieder seine Frau an. Sie sagte ganz ruhig: »Auf mich
    hat Mr. Talley nicht diesen Eindruck gemacht. Er war ein stiller, bescheidener kleiner Mann. Aber, ich weiß, man kann sich täuschen.«
    Ich sagte: »Er heißt also Talley. Das war eines der Dinge, die ich von Ihnen zu erfahren hoffte.«
    »Und was sind die anderen?« fragte Grayson.
    »Wie ich Talley finden kann – und was der erste Anlaß für Ihren
    Verdacht war. Es muß einen Anlaß geben, sonst hätten Sie Talley nicht engagiert. Jedenfalls nicht auf sein bloßes Gerede hin, daß da
    was faul sei.«
    Grayson lächelte sehr dünn und sehr gezwungen. Er langte sich an
    sein kleines Kinn und rieb es mit einem seiner langen gelben Finger.
    Mrs. Grayson sagte: »Rauschgift.«
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    »Sie meint das buchstäblich«, sagte Grayson plötzlich, so als ob das Wort ein grünes Signal gewesen wäre. »Almore war und ist
    zweifellos immer noch ein Drogendoktor. Unsere Tochter hat da
    keine Zweifel darüber aufkommen lassen. Auch in seiner Gegen‐
    wart. Was ihm ganz und gar nicht recht war.«
    »Was verstehen Sie unter einem Drogendoktor, Mr. Grayson?«
    »Ich verstehe darunter einen Arzt, dessen Praxis hauptsächlich aus
    Patienten besteht, die ständig am Rande eines Nervenzusammen‐
    bruchs leben, weil sie zu viel trinken und zu flott leben. Leute, die pausenlos schon Beruhigungsmittel und Narkotika brauchen. Einmal ist der Punkt erreicht, wo ein verantwortungsbewußter Arzt
    sich weigert, sie weiter zu behandeln, ohne daß sie in ein Sanatori‐
    um gehen wollen. Aber das sind keine Ärzte wie Dr. Almore. Die behandeln weiter, solange sich noch Geld rausschlagen läßt, solange
    der Patient auch nur am Leben bleibt und äußerlich gesund wirkt, auch wenn er dabei hoffnungslos süchtig wird. Das sind einträgliche
    Praktiken«, sagte er steif, »und vermutlich sehr gefährliche dazu.«
    »Zweifellos ist das so«, sagte ich. »Aber es steckt eben auch ’ne Menge Geld drin. Kennen Sie einen Mann, der Condy heißt?«
    »Nein. Wir wissen, wer er war. Florence hatte den Verdacht, daß er die Quelle war, die Almore mit dem nötigen Stoff versorgt hat.«
    Ich sagte: »Das wäre gut möglich. Wahrscheinlich wollte er selber
    nicht allzu viele Rezepte ausschreiben. Haben Sie Lavery gekannt?«
    »Nicht persönlich. Aber wir wußten, wer er war.«
    »Ist Ihnen je in den Sinn gekommen, daß Lavery Almore erpreßt haben könnte?«
    Der Gedanke war ihm neu. Er strich sich mit der Hand über den
    Kopf, ließ sie übers Gesicht hinuntergleiten und auf sein knochiges
    Knie fallen. Er schüttelte den Kopf.
    »Nein, warum fragen Sie?«
    »Er war als erster bei der Leiche«, sagte ich. »Wenn Talley etwas Verdächtiges bemerkt hat, müßte es Lavery auch gesehen

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