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Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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war mit dem Mäd‐
    chen nie verheiratet«, sagte er ruhig. »Degarmo ja. Ich kann Ihnen sagen, sie ist ihm ganz schön auf der Nase herumgetanzt. Vieles von
    dem, was ihn jetzt schlecht erscheinen läßt, rührt daher.«
    Ich blieb ganz ruhig sitzen. Nach einer Weile sagte ich:
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    »Ich fange an, Sachen zu begreifen, von deren Existenz ich bisher
    nichts gewußt habe. Was war sie für ein Mädchen?«
    »Schlau, geschickt und nicht gut. Sie verstand’s mit den Männern.
    Sie konnte sie auf dem Boden kriechen lassen. Der große Kerl würde
    Ihnen augenblicklich den Kopf abreißen, wenn Sie was gegen sie sagten. Sie hat sich von ihm scheiden lassen, aber für ihn war damit
    noch lange nicht Schluß.«
    »Weiß er, daß sie tot ist?«
    Webber saß einen langen Augenblick ruhig da, bevor er sagte:
    »Durch seine Worte hat er sich’s jedenfalls nicht anmerken lassen.
    Aber wie sollte er nicht, wenn’s dasselbe Mädchen ist.«
    »Er hat sie in den Bergen nie aufgespürt, soweit wir wissen.« Ich stand auf und lehnte mich gegen den Tisch. »Hören Sie, Captain, Sie
    wollen mich doch nicht zum Narren halten?«
    »Nein, verdammt noch mal. Nicht die Spur. Manche Männer sind
    nun mal so, und manche Frauen können sie dazu machen. Falls Sie
    annehmen sollten, daß Degarmo da oben war und sie gesucht hat, weil er ihr was antun wollte, dann sind Sie auf dem falschen Damp-fer.«
    »So hab ich das nie angenommen«, sagte ich. »Aber es wäre mög‐
    lich, vorausgesetzt, Degarmo kennt die Gegend dort oben ziemlich genau. Denn der Mörder hat sie nur zu genau gekannt.«
    »Das alles bleibt unter uns«, sagte er. »Es wäre mir lieb, wenn Sie’s
    so halten könnten.«
    Ich nickte, versprach es ihm aber nicht. Ich sagte abermals gute Nacht und ging. Er blickte mir durch das Zimmer nach. Er sah traurig und mitgenommen aus.
    Der Chrysler stand auf dem Polizeiparkplatz seitlich vom Rathaus,
    der Schlüssel steckte, und kein Kotflügel war verbogen. Cooney
    hatte seine Drohung nicht wahrgemacht. Ich fuhr nach Hollywood
    zurück und ging in mein Apartment im Bristol hinauf. Es war spät, fast Mitternacht.
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    Der grün und elfenbeinfarbene Flur war still, nur ein Telefon klin‐
    gelte in einem der Apartments. Es klingelte hartnäckig und wurde lauter, als ich mich meiner Tür näherte. Ich öffnete die Tür. Mein Telefon klingelte.
    Ich ging im Dunkeln durchs Zimmer zum Telefon, das auf einem
    Eichentisch an der Wand stand. Es mußte mindestens zehnmal ge‐
    klingelt haben, bevor ich abhob.
    Ich nahm den Hörer und sagte »Hallo«, und am anderen Ende der
    Leitung meldete sich Derace Kingsley.
    Seine Stimme klang gepreßt und brüchig und gezwungen. »Guter
    Gott, wo, zum Teufel, haben Sie denn gesteckt?« bellte er. »Ich ver‐
    suche Sie seit Stunden zu erreichen.«
    »Schon gut. Jetzt bin ich ja da«, sagte ich. »Wo brennt’s denn?«
    »Sie hat sich gemeldet.«
    Ich hielt den Hörer fest umklammert, atmete vorsichtig ein und ebenso vorsichtig aus. »Und weiter«, sagte ich.
    »Ich bin ganz in der Nähe. Ich bin in fünf, sechs Minuten bei Ihnen. Machen Sie sich zum Weg gehn fertig.«
    Er hängte ein.
    Ich stand da und hielt den Hörer auf halbem Wege zwischen Ohr
    und Gabel in der Luft. Dann legte ich ganz langsam auf und betrachtete die Hand, die ihn gehalten hatte. Sie war halb geöffnet und
    halb geschlossen, so als ob sie noch immer den Hörer hielte.
    An der Tür hörte man ein verschämtes Mitternachtsklopfen, ich
    ging hinüber und öffnete. Kingsley sah groß wie ein Pferd aus, in seinem cremefarbenen Shetland‐Sportmantel und dem grün und
    gelb gemusterten Schal, den er um seinen Hals und den hochge‐
    schlagenen Kragen gewickelt hatte. Seinen dunklen rotbraunen Hut
    mit breiter Krempe hatte er tief ins Gesicht gezogen, und unter der
    Krempe blickten seine Augen wie die Augen eines kranken Tiers
    hervor.
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    Miss Fromsett war bei ihm. Sie trug Hosen und Sandalen und ei‐
    nen dunkelgrünen Mantel, hatte keinen Hut auf und ihr Haar hatte
    einen verführerischen Glanz. In ihren Ohren trug sie Ohrringe, die aus je einem Paar winziger kunstvoller Gardenienblüten gebildet
    wurden, die übereinander hingen. Gillerlain Regal, der Champagner
    unter den Parfüms, kam mit ihr durch die Tür.
    Ich schloß die Tür, zeigte auf meine Möbel und sagte: »Ein Schluck
    könnte vielleicht nichts schaden.«
    Miss Fromsett setzte sich in einen Sessel, schlug ihre Beine übereinander und sah sich nach Zigaretten um. Sie fand

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