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Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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können.«
    Kingsleys Gesicht sah verärgert aus, aber seine Augen waren im‐
    mer noch die Augen eines kranken Tiers. Ich wickelte mir seinen Schal um den Hals und ging hinaus in die Kochnische, um das Licht
    zu löschen. Als ich zurückkam, standen sie beide in der Tür. Kings‐
    ley hatte den Arm um ihre Schultern gelegt. Sie sah sehr müde und
    ziemlich mitgenommen aus.
    »Nun, ich hoffe gewiß…«, fing er an, machte dann einen raschen
    Schritt und streckte mir seine Hand entgegen. »Sie sind ein besonders netter Kerl, Marlowe.«
    »Los, hauen Sie ab«, sagte ich. »Verschwinden Sie. Und zwar weit
    weg.«
    Er blickte mich erstaunt an, dann gingen sie hinaus.
    Ich wartete, bis ich den Lift raufkommen und halten, die Tür öff‐
    nen und schließen und wieder hinunterfahren hörte. Dann ging ich
    auch hinaus, über die Treppen zur Garage und machte meinen
    Chrysler wieder munter.
    Die Peacock Lounge war ein schmales Vorderhaus neben einem
    Geschenkartikelladen, in dessen Schaufenster ein Servierbrett voll kleiner Kristalltiere im Straßenlicht glänzte. Das Peacock hatte eine Wand aus Glasziegeln, sanftes Licht schimmerte rund um den Pfau
    aus buntem Glas, der in die Ziegel eingelassen war. Ich ging um einen chinesischen Schirm herum hinein, warf einen Blick über die Bar und setzte mich dann an die äußere Kante einer kleinen Nische.
    Das Licht war bernsteinfarben, die Lederbezüge chinesisch rot, und
    die Nischen hatten blankgeputzte Plastiktische. In einer Nische
    tranken vier Soldaten schwermütig ihr Bier, ihre Augen waren gla‐
    sig, und sie langweilten sich offensichtlich, trotz des Biers. In der Nische gegenüber saß eine Gruppe von zwei Mädchen und zwei
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    grell angezogenen Männern, die den einzigen Lärm in dem Lokal
    machten. Ich sah niemand, der meiner Vorstellung von Crystal
    Kingsley ähnelte.
    Ein eingeschrumpfter Kellner mit einem gemeinen Blick und ei‐
    nem Gesicht wie ein abgenagter Knochen legte eine Serviette mit einem aufgedruckten Pfau vor mir auf den Tisch und brachte mir einen Bacardi‐Cocktail. Ich nippte daran und sah auf das bernstein-farbene Zifferblatt der Uhr über der Bar. Es war gerade ein Uhr fünfzehn vorbei.
    Einer der beiden Männer mit den beiden Mädchen stand plötzlich
    auf, stakste zur Tür und ging hinaus. Die Stimme des anderen Man‐
    nes sagte:
    »Warum mußtest du den Jungen beleidigen?«
    Die blecherne Stimme des Mädchens sagte: »Ich ihn beleidigen.
    Das hab ich gern. Er hat mir schweinische Vorschläge gemacht.«
    Die Stimme des Mannes sagte wehleidig: »Deshalb mußtest du ihn
    doch nicht beleidigen, oder?«
    Einer der Soldaten lachte plötzlich tief unten in seinem Brustkasten, wischte sich dann mit einer braunen Hand das Lachen aus dem
    Gesicht und trank ein wenig an seinem Bier weiter. Ich rieb meine Kniekehle. Sie fühlte sich immer noch heiß und geschwollen an, aber der lähmende Schmerz war verschwunden.
    Ein winziger weißgesichtiger mexikanischer Junge mit riesigen
    schwarzen Augen kam mit den Morgenzeitungen herein, schlender‐
    te die Nischen entlang und versuchte ein paar Zeitungen loszuwer‐
    den, bevor der Barmixer ihn hinauswarf. Ich kaufte eine Zeitung und blätterte sie durch, um zu sehen, ob sich einige interessante Mordfälle ereignet hätten. Es gab keine.
    Ich faltete die Zeitung zusammen und sah hoch zu einem schlan‐
    ken braunhaarigen Mädchen in anthrazitfarbenen Hosen, einer gel‐
    ben Bluse und einem langen grauen Mantel, das von irgendwoher
    gekommen war und an meiner Nische vorbeiging, ohne nach mir zu
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    blicken. Ich versuchte mir darüber klar zu werden, ob mir ihr Gesicht bekannt vorkäme oder ob es nur der Standardtyp dieser über‐
    schlanken, eher herben Hübschen war, den ich schon zehntausend‐

mal gesehen haben mußte. Sie ging auf die Straße hinaus und um den Schirm herum. Zwei Minuten später kam der kleine mexikanische Junge wieder herein, warf dem Barmixer einen raschen Blick zu
    und schlenderte zu mir herüber, bis er vor mir stand.
    »Mister«, sagte er, während seine großen Augen vor Ver‐
    dorbenheit glänzten. Dann gab er mir einen Wink als Zeichen und schlenderte wieder hinaus.
    Ich trank aus und ging ihm nach. Das Mädchen im grauen Mantel,
    der gelben Bluse und den schwarzen Hosen stand vor dem Ge‐
    schenkartikelladen und blickte ins Schaufenster. Sie bewegte ihre Augen, als ich hinauskam. Ich ging weiter, bis ich an ihrer Seite war.
    Sie sah mich nochmals an. Ihr Gesicht war blaß

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