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Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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und müde. Ihr Haar sah dunkler als dunkelbraun aus. Sie blickte weg und sprach in Richtung Schaufenster.
    »Geben Sie mir bitte das Geld.« Ihr Atem schlug sich auf der Schaufensterscheibe nieder.
    Ich sagte: »Ich muß erst wissen, wer Sie sind.«
    »Sie wissen, wer ich bin«, sagte sie sanft. »Wieviel haben Sie mit‐
    gebracht?«
    »Fünfhundert.«
    »Das ist nicht genug«, sagte sie. »Nicht im entferntesten genug.
    Geben Sie’s mir schnell. Ich habe hier eine halbe Ewigkeit darauf gewartet, daß jemand kommt.«
    »Wo können wir reden?«
    »Wir brauchen nicht zu reden. Sie geben mir das Geld und verschwinden dann wieder.«
    »So einfach ist das nicht. Was ich mache, ist ziemlich riskant. Ich will wenigstens die Befriedigung haben, daß ich weiß, was hier ge-201
    spielt wird und auf welcher Seite ich stehe.«
    »Der Teufel soll Sie holen«, sagte sie scharf. »Warum ist er nicht selber gekommen. Ich will nicht sprechen. Ich möchte so schnell wie
    möglich verschwinden.«
    »Sie wollten nicht, daß er selber kommt. Wie er Sie verstanden hat,
    wollten Sie nicht einmal am Telefon mit ihm sprechen.«
    »Das stimmt«, sagte sie rasch und warf den Kopf zurück.
    »Aber mit mir werden Sie reden müssen«, sagte ich. »Mit mir ist das nicht so leicht wie mit ihm. Entweder mit mir oder mit der Polizei. Es gibt keinen anderen Ausweg. Ich bin Privatdetektiv, und ich
    muß an meine Sicherheit denken.«
    »Ist das nicht entzückend von ihm«, sagte sie. »Ein Privatdetektiv
    und all das.« Ihre Stimme war voll verhaltenem Hohn.
    »Er hat das in seinen Augen Beste getan. Es war schwierig für ihn
    zu wissen, was zu tun sei.«
    »Worüber wollen Sie reden?«
    »Über Sie. Darüber, was Sie gemacht haben, wo Sie waren und
    was Sie tun werden. Über lauter solche Sachen. Kleine, aber wichti‐
    ge Sachen.«
    Sie atmete gegen das Glas des Schaufensters und wartete, wäh‐
    rend der Beschlag ihres Atems sich auflöste.
    »Ich glaube, daß es viel besser für Sie wäre«, sagte sie mit der glei‐
    chen kalten und leeren Stimme, »wenn Sie mir das Geld geben und
    den Rest mir überlassen.«
    »Nein.«
    Sie gab mir einen weiteren scharfen seitlichen Blick. Sie zuckte un‐
    geduldig ihre Schultern unter dem grauen Mantel.
    »Also gut, wenn es nicht anders geht. Ich bin im Granada, zwei Blocks weiter nördlich an der Eighth Street. Apartment 618. Geben Sie mir zehn Minuten. Ich möchte lieber allein gehen.«
    »Ich bin mit dem Wagen.«
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    »Ich möchte lieber allein gehen.« Sie drehte sich rasch um und ging fort.
    Sie ging zurück zur Ecke, überquerte den Boulevard und ver‐
    schwand, während sie den Block entlangging, unter einer Reihe von
    Pfefferbäumen. Ich ging zum Chrysler, setzte mich hinein und gab ihr die zehn Minuten Vorsprung, bevor ich losfuhr.
    Das Granada war ein häßliches graues Eckgebäude. Die Eingangs‐
    tür aus Glas war auf der Höhe der Straße. Ich fuhr um die Ecke und
    sah eine milchige Kugel, auf der ›Garage‹ stand. Die Einfahrt zur Garage führte über eine Rampe hinunter in eine nach Gummi riechende Stille von reihenweise geparkten Wagen. Ein hagerer Neger
    kam aus seinem Glaskastenbüro und musterte den Chrysler.
    »Was macht das hier für ’ne kurze Weile? Ich will nach oben.«
    Er schielte mich mißtrauisch an. »Is spät, Chef. Die Kutsche da braucht ’ne richtige Reinigung dazu. Macht ’n Dollar.«
    »Was ist denn hier los?«
    »Macht ’n Dollar«, sagte er steif.
    Ich stieg aus. Er gab mir den Parkschein. Ich gab ihm den Dollar.
    Ohne daß ich ihn fragen mußte, sagte er mir, daß der Lift hinter dem
    Büro sei, bei der Herrentoilette.
    Ich fuhr zum sechsten Stock hoch und sah auf Nummern auf Tü‐
    ren und lauschte auf Stille und roch die Seeluft, die von den Enden
    des Korridors hereindrang. Alles wirkte ganz anständig. Und ein paar übermütige Damen gab’s in jedem Apartmenthaus. Das erklär-te den Dollar des hageren Negers. Ein Menschenkenner, der Junge.
    Ich kam zur Tür des Apartments 618, stand einen Moment lang
    vor der Tür und klopfte dann leise.
    Sie hatte den grauen Mantel immer noch an. Sie ging von der Tür
    weg, und ich folgte ihr in einen quadratischen Raum mit doppeltem
    Wandbett und einem Minimum an langweiligen Möbeln. Eine klei‐
    ne Lampe auf einem Fensterbrett verbreitete ein schwaches gelbliches Licht. Das Fenster dahinter war geöffnet.
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    Das Mädchen sagte: »Setzen Sie sich, und reden Sie schon.«
    Sie schloß die Tür und ging durchs Zimmer,

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