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Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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um sich in einen dü‐
    steren Schaukelstuhl zu setzen. Ich setzte mich auf ein gewaltiges Sofa. Ein dunkelgrüner Vorhang hing über einer offenen Türeinbuchtung am unteren Ende des Sofas. Wahrscheinlich führte sie ins
    Ankleide‐ und Badezimmer. Gegenüber war eine andere verschlos‐
    sene Tür. Wahrscheinlich die Kochnische. Mehr war da wohl nicht.
    Das Mädchen schlug die Schenkel übereinander und lehnte ihren
    Kopf in den Schaukelstuhl zurück und sah mich unter langen ge-tuschten Wimpern an. Ihre Augenbrauen waren dünn und gebogen
    und so braun wie ihr Haar. Es war ein ruhiges, verschwiegenes Ge‐
    sicht. Es sah nicht wie das Gesicht einer Frau aus, die eine Menge Gefühle zu verschwenden hat.
    »Ich hab Sie mir ganz anders vorgestellt«, sagte ich. »Nach Kings‐
    leys Schilderung.«
    Sie verzog ein wenig die Lippen. Aber sie sagte nichts.
    »Auch nach Laverys Schilderung«, sagte ich. »Aber das zeigt nur,
    daß wir mit verschiedenen Leuten verschiedene Sprachen spre‐
    chen.«
    »Für diese Art von Gerede habe ich keine Zeit«, sagte sie. »Was müssen Sie denn so unbedingt wissen?«
    »Er hat mich engagiert, um Sie zu finden. Damit war ich beschäf‐
    tigt. Ich dachte, daß Sie das vielleicht wüßten.«
    »Ja. Sein Bürohäschen hat’s mir am Telefon gesagt. Sie sagte mir, daß Sie ein Mann wären, der Marlowe heißt. Und sie hat mir vom Schal erzählt.«
    Ich nahm den Schal ab, faltete ihn zusammen und schob ihn in die
    Tasche. Ich sagte:
    »Daher weiß ich ’n bißchen was über Ihre Schritte. Nicht sehr viel.
    Ich weiß, daß Sie Ihr Auto im Prescott Hotel in San Bernardino ste‐
    henlassen haben und daß Sie ein Telegramm von El Paso geschickt
    haben. Und was haben Sie danach gemacht?«
    204
    »Alles, was ich von Ihnen will, ist das Geld, das er mir geschickt hat. Ich kann nicht einsehen, was Sie meine einzelnen Schritte angehen.«
    »Ich will darüber nicht streiten«, sagte ich. »Es hängt davon ab, ob
    Sie’s Geld wollen oder nicht wollen.«
    »Also gut, wir sind nach El Paso gefahren«, sagte sie mit müder Stimme. »Ich wollte ihn dort heiraten. Deshalb habe ich telegra-phiert. Sie haben das Telegramm gesehen?«
    »Ja.«
    »Dann habe ich eben meine Meinung geändert. Ich bat ihn, wieder
    nach Hause zu fahren und mich in Ruhe zu lassen. Er machte mir eine Szene.«
    »Ist er nach Hause gefahren und hat Sie in Ruhe gelassen?«
    »Ja, natürlich.«
    »Was haben Sie dann gemacht?«
    »Ich bin nach Santa Barbara gefahren und dort ein paar Tage geblieben. Über eine Woche, genau gesagt. Dann war ich in Pasadena.
    Genauso lang. Dann in Hollywood. Und dann bin ich hierher ge‐
    kommen. Das ist alles.«
    »Waren Sie die ganze Zeit allein?«
    Sie zögerte ein wenig und sagte dann: »Ja.«
    »Und nicht zusammen mit Lavery? Nirgends?«
    »Nicht, nachdem er nach Hause gefahren war.«
    »Was hatten Sie im Sinn?«
    »Im Sinn? Womit?« Ihre Stimme wurde ein wenig scharf.
    »Damit, daß Sie in all diesen Orten waren, ohne ein Lebenszeichen
    von sich zu geben. Konnten Sie sich denn nicht denken, daß er sich
    große Sorgen machen würde?«
    »Ach, meinen Mann meinen Sie«, sagte sie kühl. »Ich glaube, ich habe mir nicht viel Gedanken über ihn gemacht. Er mußte doch
    denken, daß ich in Mexiko sei. Und was den Sinn des Ganzen an-205
    geht, nun, ich mußte mit mir über ein paar Dinge ins reine kommen.
    Mein Leben war ein hoffnungsloses Durcheinander geworden. Ich
    mußte irgendwo ganz allein sein, um zu versuchen, mich wieder zu
    fangen.«
    »Davor«, sagte ich, »waren Sie einen Monat am Little Fawn Lake und haben versucht, sich zu fangen, ohne daß Sie weit damit gekommen wären. Stimmt’s?«
    Sie blickte hinunter auf ihre Schuhe, dann hoch zu mir und nickte
    ernsthaft. Das wellige braune Haar fiel an ihren Wangen nach vorne.
    Sie hob ihre linke Hand und schob es zurück. Dann rieb sie sich mit
    einem Finger die Schläfe.
    »Es schien so, als ob ich einen neuen Ort brauchte«, sagte sie.
    »Nicht unbedingt einen aufregenden Ort. Nur einen fremden. Ohne
    Erinnerungen. Einen Ort, wo ich viel allein sein konnte. Wie in einem fremden Hotel.«
    »Wie weit sind Sie damit gekommen?«
    »Nicht sehr weit. Aber ich will nicht zu Derace Kingsley zurück.
    Will er’s denn überhaupt?«
    »Das weiß ich nicht. Warum sind Sie hierher in die Stadt gekom‐
    men, wo Lavery war?«
    Sie nagte an ihrem Finger und sah mich über die Hand hinweg an.
    »Ich wollte ihn wiedersehen. Mein Kopf ist noch voll von ihm.

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