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Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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Ich
    liebe ihn und doch – ja, vermutlich stimmt das in gewisser Weise.
    Aber ich glaube nicht, daß ich ihn heiraten will. Das gibt doch kei‐
    nen Sinn?«
    »Dieser Teil Ihrer Erzählung schon. Aber von zu Hause wegzulau‐
    fen, in einer Reihe lausiger Hotels zu leben, das gibt keinen Sinn. Sie leben doch schon seit Jahren Ihr eigenes Leben, wenn ich recht verstanden habe.«
    »Ich mußte allein sein, um – um mit mir über ein paar Dinge ins
    reine zu kommen«, sagte sie ein wenig verzweifelt und biß sich wieder auf den Finger, diesmal fester. »Bitte, wollen Sie mir nicht 206
    das Geld geben und weggehen.«
    »Sicher. Sofort. Aber hat Sie nicht noch etwas anderes veranlaßt, gerade zu diesem Zeitpunkt vom Little Fawn Lake wegzugehen?
    Etwas, das mit Muriel Chess zu tun hat, beispielsweise.«
    Sie sah überrascht aus. Aber jeder kann überrascht aussehen. »Gü‐
    tiger Gott, was sollte das gewesen sein? Diese kleine Langweilerin mit dem kalten Gesicht, was soll die mit mir zu tun haben?«
    »Ich dachte, daß Sie vielleicht Streit mit ihr hatten – wegen Bill.«
    »Bill? Bill Chess?« Sie schien noch mehr überrascht zu sein. Fast zu
    überrascht.
    »Bill behauptet, Sie hätten ihm so was wie ’ne Einladung ge‐
    schickt.«
    Sie lehnte ihren Kopf zurück und gab ein blechernes und unwirk‐
    liches Lachen von sich. »Gütiger Himmel, dieser Säufer mit dem dreckigen Gesicht!« Ihr Gesicht wurde plötzlich ernst. »Was ist passiert? Was bedeutet diese Geheimnistuerei?«
    »Er mag ein Säufer mit einem dreckigen Gesicht sein«, sagte ich.
    »Aber die Polizei denkt, daß er außerdem noch ein Mörder ist. Der
    seiner Frau. Sie wurde ertrunken im See gefunden. Nach einem Mo‐
    nat.«
    Sie feuchtete ihre Lippen an, hielt den Kopf zur Seite und starrte mich unverwandt an. Eine Weile herrschte Schweigen. Der feuchte Atem des Pazifiks drang in den Raum.
    »Ich bin nicht allzu überrascht«, sagte sie langsam. »Soweit mußte
    es also am Ende kommen. Sie hatten manchmal schreckliche Aus‐
    einandersetzungen. Haben Sie gedacht, daß es etwas mit meiner
    Abreise zu tun hatte?«
    Ich nickte: »Es wäre möglich gewesen.«
    »Ich hatte nicht das geringste damit zu tun«, sagte sie ernst und schüttelte ihren Kopf vor und zurück. »Alles war so, wie ich’s Ihnen
    erzählt habe. Und sonst nichts.«
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    »Muriel ist tot«, sagte ich. »Im See ertrunken. Das scheint Sie nicht
    gerade zu erschüttern, oder?«
    »Ich habe das Mädchen ja kaum gekannt«, sagte sie. »Wirklich. Sie
    lebte sehr zurückgezogen. Und schließlich…«
    »Ich nehme nicht an, daß Sie gewußt haben, daß sie früher bei Dr.
    Almore gearbeitet hat?«
    Sie sah jetzt vollkommen verwirrt aus. »Ich war nie in Dr. Almores
    Sprechstunden«, sagte sie. »Er hat ein paar Hausbesuche bei uns gemacht, vor längerer Zeit. Ich – wovon sprechen Sie eigentlich?«
    »Muriel Chess war in Wahrheit ein Mädchen namens Mildred Ha‐
    viland. Und die war Dr. Almores Sprechstundenhilfe.«
    »Das ist ein komisches Zusammentreffen«, sagte sie erstaunt. »Ich
    wußte, daß Bill sie in Riverside kennengelernt hat. Ich wußte natür‐
    lich nicht, wie und unter was für Umständen und wo sie hergekommen war. Aus Dr. Almores Sprechstunde, hmh? Das bedeutet
    doch nichts weiter, oder?«
    Ich sagte: »Nein. Ich glaube, es ist der reine Zufall. So was kommt
    vor. Aber Sie verstehen jetzt, warum ich mit Ihnen sprechen mußte.
    Muriel wurde ertrunken aufgefunden, und Sie waren weggegangen,
    und Muriel war Mildred Haviland, die wiederum in einer bestimm‐
    ten Zeit in Verbindung mit Dr. Almore stand – wie auch Lavery –
    auf andere Weise. Und natürlich wohnt Lavery Dr. Almore gegen‐
    über. Könnte Lavery Muriel von irgendwoher gekannt haben?«
    Sie dachte nach, während sie leicht an ihrer Unterlippe nagte.
    »Er hat sie oben gesehen«, sagte sie schließlich. »Aber er machte nicht den Eindruck, als ob er sie schon früher gekannt hätte.«
    »Und den Eindruck hätte er sonst gemacht«, sagte ich. »Denn zu der Sorte Männer gehörte er.«
    »Ich glaube nicht, daß Chris irgend etwas mit Dr. Almore zu tun
    hatte«, sagte sie. »Er kannte Almores Frau. Ich glaube nicht, daß er
    den Doktor überhaupt kannte. So kannte er wahrscheinlich auch Dr.
    Almores Sprechstundenhilfe nicht.«
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    »Gut, gut. Ich glaube, das hilft mir alles nicht weiter«, sagte ich.
    »Aber vielleicht können Sie jetzt verstehen, warum ich mit Ihnen sprechen wollte. Ich glaube, ich kann

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