Die tote Schwester - Kriminalroman
befördert worden zum Kommissar, übrigens.«
»Meinen Glückwunsch.«
»Danke. Haben Sie das … die Geschehnisse von damals gut überstanden?«
»Ja. Soweit man das so nennen kann.«
»Natürlich. – Ich wollte auch gerade gehen.«
»Ja.«
Zeynel blieb stehen, fixierte die hohen, spitzen, schwarzen Pumps von Tonia.
»Ich hoffe, Ihrem Sohn geht es gut«, sagte er.
»Ja. Den Umständen entsprechend.«
Zbigniew fragte sich, was eigentlich mit Timo war. Eigentlich holte Tonia ihn jeden Tag von der Schule ab. Jetzt war sie schon die ganze Zeit mit ihm selbst zusammen und hatte sich noch überhaupt nicht um ihren Sohn gekümmert.
»Gut, dann … «
Zeynel gelang es, den Blick von ihr abzuwenden, reichte Tonia noch einmal die Hand. Dann warf er Zbigniew einen seltsamen Blick zu. Den Blick einer Mutter, die ihrem Sohn sagen wollte, dass er keinen Unsinn anstellen sollte.
Tonia und er, allein.
Nein, Zeynel kannte ihn. Er wusste, dass Zbigniew derlei nie tun würde.
Außerdem war es ohnehin bloß ein Hirngespinst. Tonia hatte sich angezogen, wie sie sich immer für Ausstellungseröffnungen anzog. Wie es normal war für sie bei einer derartigen Gelegenheit. Alles andere war eine Fehlinterpretation.
Männliches Wunschdenken, auch von Zeynel.
Dieser hob seine Hand zum Gruß, verließ dann die Wohnung. Zbigniew blickte ihm nach.
»Ich finde gut, dass ihr als Polizeibeamte euch auch privat untereinander versteht«, sagte Tonia lächelnd. »Gehen wir gleich los oder hast du noch einen Aperitif auf Lager?«
Zbigniew sah sie an, verunsichert.
»Entschuldigung. Das war … « Tonia hielt inne, sah ihn dann mit besorgtem Blick an. »Ist alles in Ordnung?«
»Ja. Nein. Eigentlich nicht. Mein Kollege hat mir gerade erzählt, in welche Richtung die Ermittlungen gehen. Und ich frage mich jetzt, was für einen Sinn das alles hat, was wir tun. Was wir getan haben.«
Tonia sah ihn einen Moment lang nachdenklich an, dann lächelte sie.
»Das hast du dich schon von Anfang an gefragt, insoweit macht es auch keinen großen Unterschied. Zieh dich um.«
Zbigniew hatte sich in sein Schlafzimmer zurückgezogen. Schnell hatte er auf seinem Herrendiener eine passende schwarze Hose und ein leichtes Jackett gefunden, das er einfach über sein Hemd warf. Eine Krawatte, befand er, war nicht nötig.
Er hasste Krawatten ohnehin.
Nun saß er neben Tonia, die seinen eigenen Wagen nach Düsseldorf lenkte. Er wäre in der Lage gewesen, selbst zu fahren, natürlich, aber so konnte er besser nachdenken. Tonias Verhalten hatte ihn ein wenig überrascht. Die Art, wie sie »Zieh dich um« gesagt hatte, passte nicht zu dem Bild, das er bislang von ihr hatte. Die fragile, zerbrechliche Frau. In der letzten Zeit wollte sie ihn aufbauen, unterstützen. Das hatte sie auch getan. Aber mit diesen kleinen drei Worten »Zieh dich um« war irgendwie etwas Neues in ihr Verhältnis hereingekommen.
Es gefiel ihm nicht, doch er war zu träge, zurzeit darauf einzugehen. Und er hatte keine Zeit, darüber nachzudenken.
Stattdessen grübelte er über die Theorie von Zeynel nach. Über die Fährten, denen die polizeilichen Ermittler nachgegangen waren. Über Lena, die vielleicht ein ganz anderes Leben geführt hatte, als Zbigniew dachte.
Ihre Eltern hatte sie früher immer belogen, als sie heimlich mit ihm zusammen war. Belog sie auch ihn, in ganz anderen Dingen?
Er versuchte, sich die Vernissage in New York vor Augen zu führen. Mahmud Said. Lena und er hatten sich in der Nacht danach noch einmal gesehen. War Lena gar nicht so lange bei Samuel gewesen, wie er gedacht hatte? Hatte sie Mahmud Said vor der Abreise noch einmal getroffen?
Nein, nicht seine Lena, sagte eine innere Stimme immer wieder. Seine Lena würde so etwas nicht tun, sie würde so eine Sache niemals vor ihm verheimlichen können.
Und doch.
Zbigniew hatte bislang wie ein Pferd mit Scheuklappen nur in eine bestimmte Richtung geschaut. Darüber hinaus hatte er alle anderen möglichen Richtungen eventuell vernachlässigt.
Früher hätte er das nicht getan.
Bei jedem anderen Fall hätte er so ein Verhalten bei seinen Kollegen kritisiert.
Eine Ermittlungskommission konnte sich solche Fehler nicht leisten.
Vielleicht war das der Grund, warum er nicht ins Präsidium gehörte, Zeynel dagegen sehr wohl.
Wenn seine Freundin die Frau war, die Zeynel beschrieb, dann würde es mit ihnen aus sein. Dann war er bloß ein Ball in einem abgekarteten Spiel, dann wäre seine Beziehung, ja sogar die
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