Die tote Schwester - Kriminalroman
Kopf haben.
Andererseits, was waren die Informationen von Delia noch wert? Sie waren bloß noch eine Marginalie in einem Spiel, das mit den Geschehnissen nichts zu tun hatte.
Hinter sich bekam Zbigniew aus einem Gesprächsfetzen mit, dass auch der Ministerpräsident zur Vernissage kommen würde.
Ihm lief ein Schauder über den Rücken. Der Ministerpräsident war nicht sein Freund.
Ob er ihn wiedererkennen würde?
Vermutlich nicht. Politiker begegneten täglich so vielen Menschen.
Tonia ging voran, sie schien sich in diesen Hallen auszukennen. Sie kamen in einen großen Lichthof, der mit einem überdimensionalen, bunten Kronleuchter, eher ein Kunstwerk, behängt war – ein Leuchter, der sich über mehrere Etagen erstreckte. Über ihren Köpfen gab es mehrere Reihen von Galerien um den Lichthof, von denen aus die Gäste den Kronleuchter aus der Nähe betrachten konnten. In der Mitte des Lichthofs lag eine Bar, um die herum sich viele sehr gut gekleidete Menschen gruppierten. Diese Ausstellungseröffnung vermittelte bei näherem Hinsehen dann doch eine völlig andere Atmosphäre als Veranstaltungen dieser Art in Köln. Sie wirkte – Zbigniew musste innerlich einen Moment lang nach dem Wort suchen – eleganter.
Düsseldorf eben.
Insoweit war es in New York dann doch eher wie in Köln.
Zbigniew drehte seinen Kopf, suchte die Menschenmassen nach Delia Johannsen ab. Sie schien sich nicht hier zu befinden.
Tonia leitete ihn in den ersten Ausstellungssaal, wo sich Menschen um opulente, große Gemälde herumdrängten.
Antarctica, revisited.
Nein, dies hier war nicht zu vergleichen mit den Bildern in New York. Zwar waren auch diese Gemälde überdimensional und farbintensiv, aber sie wiesen viel mehr Struktur auf, viel mehr Leben. Zbigniew beschloss auf den ersten Blick, dass ihm diese Bilder hier gefielen.
Lena wäre sicher sehr gerne hiergewesen.
Er würde in Zukunft mehr mit ihr ausgehen, ihr etwas bieten.
Nein.
Lena war nicht die, die sie schien.
Delia Johannsen. Er sah sie in der Ferne vor einem der größten Gemälde stehen, einem seltsamen Konglomerat aus Orange, Braun und Blau, das wie ein umgekehrter Berg aussah.
Zbigniew leerte sein Sektglas in einem Zug, nahm Tonia bei der Hand und zog sie in die Richtung des Bildes. Sie folgte bereitwillig.
Delia Johannsen stand mit dem Rücken zu ihnen, in ein Gespräch mit einigen wichtig wirkenden Herren vertieft.
Es war, als ob sie einen sechsten Sinn hatte: Obwohl sie ihn nicht sehen konnte, drehte sie sich schlagartig um, zwei Meter bevor er bei ihr war. Ihre Föhnwelle wirbelte dem Kopf dynamisch hinterher, brauchte einen Moment, um wieder zum Stillstand zu kommen.
Delia sah ihm ins Gesicht. Zwei Sekunden lang wirkte sie mitleidig, dann wechselte ihre Miene in ein Strahlen, sie lachte.
»Zbigniew! Zbigniew Meier!«, rief sie, ging einen Schritt auf ihn zu, warf ihm ihre Arme um den Hals. Küsse auf die Wange, rechts, links, rechts. Zbigniew warf die Küsse zurück.
»Es ist so gut, Sie zu sehen«, sagte sie.
»Ich freue mich auch sehr«, antwortete er. »Darf ich Ihnen vorstellen, Tonia Lindner, eine Freundin von mir – und Kunstexpertin.«
Delia begrüßte Tonia sehr freundlich. Während Tonia ihm einen Seitenblick zuwarf, vermutlich weil sie nicht gern als Kunstexpertin bezeichnet wurde, schüttelte Delia ihr herzlich die Hand, how do you do, how do you do. Als die beiden Frauen sich wieder losließen, warf Tonia ihm einen zweiten Blick zu.
Nein, es konnte nicht sein, dass Tonia sie als Konkurrentin sah. Zbigniew überinterpretierte die Situation. Wie immer.
Tonia und Delia.
»Ich müsste hier noch eben ein Gespräch zu Ende führen«, sagte Delia ruhig an Zbigniew gerichtet, »dann unterhalten wir uns, ja?«
»Vielleicht sollten wir irgendwo hingehen, wo es ruhiger ist«, schlug Zbigniew vor.
»Gern. Noch eine Minute, ja? Ich finde Sie gleich.«
Zbigniew nickte und ging mit Tonia an den Bildern weiter entlang, während Delia sich wieder ihren Herren zuwandte.
Im Hintergrund sah er, wie sich eine Menschentraube öffnete. Schnell erkannte er den Grund: Der Ministerpräsident schritt mit seiner Gattin in den Saal, gefolgt von einigen Herren. Sicherheitsbeamte und persönliche Referenten, vermutete Zbigniew. Eine hübsche Frau vor dem Ministerpräsidenten deutete in eine bestimmte Richtung; der Politiker, seine Gattin und der Tross folgten ihr, während sie rückwärtsgewandt etwas erläuterte. Vermutlich war sie eine Angestellte des
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