Die tote Schwester - Kriminalroman
Museums, die dem Ministerpräsidenten die Ausstellung zeigte.
»Das ist eine berühmte Kuratorin«, schien Tonia die gleichen Gedanken zu haben wie er selbst, »Maja Neumann.«
Zbigniew nickte; natürlich, nicht irgendeine Angestellte. Die Frau war vielleicht in seinem Alter, aber sie war schon berühmt.
»Würdest du nachher zurückfahren? Ich hätte Lust, mich zu betrinken«, sagte er.
Tonia sah ihn stirnrunzelnd an.
»Hat das irgendeinen Grund?«
»Verschiedene.«
Sie gingen in den Lichthof zurück. Zbigniew versuchte, dem Ministerpräsidenten den Rücken zuzukehren. Es war albern, vermutlich würde er sich nicht an ihn erinnern.
An der Theke war eine längere Schlange, und so dauerte es eine Weile, bis Zbigniew in Besitz seines zweiten Sektglases war. Tonia trank Wasser.
»Ich dachte, du wolltest einen klaren Kopf behalten.«
Sie sprach es ohne Vorwurf aus. Es war vernünftiger, das war alles.
Zbigniew nahm einen Schluck.
»Es sieht so aus, als ob die gesamte Suche nach Samuel Weissbergs Schwester, all das, was wir gemacht haben, überhaupt nichts mit Lenas Entführung zu tun hat«, sagte er schließlich zu Tonia.
»Oh. Wirklich?« Sie sah ihn überrascht an. »Hat dir das dein Kollege vorhin erzählt?«
Zbigniew berichtete ihr von dem Bekennerschreiben. Von den Gedanken, die dahintersteckten, erzählte er Tonia nicht. Er hatte Zeynel geschworen, Stillschweigen darüber zu bewahren.
Bei seiner Mutter, wie absurd.
Tonia nahm seine Hand, strich mit ihrer anderen Hand darüber.
»Aber wer weiß. Vielleicht gibt es ja doch irgendeinen Zusammenhang. Oder die Polizei täuscht sich. Jedenfalls schaden unsere Erkundigungen nicht. Im besten Fall können wir einem alten Mann dann sagen, was mit seiner Schwester geschehen ist, und er muss keine Ungewissheit mit ins Grab mitnehmen.«
Zbigniew trank sein Sektglas leer, orderte gleich ein weiteres.
Tonia hatte recht, und er selbst hatte noch vor wenigen Minuten das Gleiche gedacht.
Irgendetwas kam in ihm hoch. Eine Aggression, die er zuvor noch nicht verspürt hatte.
»Sorry, aber das kann ich nicht so sehen. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich nicht so viel von meiner Zeit da reingesteckt. Zumindest nicht in diesem Moment, in dem Lena verschwunden ist. Dann hätte ich mich anderen Spuren gewidmet.«
Tonia nickte.
Sie erwiderte nichts, was Zbigniew das Gefühl gab, recht zu haben.
Natürlich hatte er recht.
Der Sekt begann langsam seine Wirkung zu tun. Er fühlte sich etwas beschwipst.
»Außerdem«, fuhr er fort, »außerdem ist Samuel Weissberg untergetaucht. Er ist wie vom Erdboden verschluckt. Man erreicht ihn seit Tagen nicht.«
Tonia nickte, wusste nichts zu sagen.
Zbigniew hatte recht, das spürte er. Vielleicht war der Alkohol das einzig Konsequente, das einzig Wahrhaftige in der Situation, in der er sich zurzeit befand. Er war mit dem Ministerpräsidenten auf einer Vernissage, während seine Freundin irgendwo die Gefangene spielte, gemeinsam mit verrückten arabischen Kunstabsolventen.
Oder so.
Tonia sah in die Ferne, durch den Durchgang in einen der Säle hinein. Zbigniew drehte sich um, suchte nach der Kellnerin. Sie war am anderen Ende der Theke, zu weit weg für einen kleinen Zwischendrink.
Dabei war sein Glas fast leer.
Er drehte sich um und sah, wie ein rotgesichtiger, stämmiger Mann sich seinen Weg zur Theke bahnte. Dann begriff Zbigniew erstaunt, dass der unbekannte Mann auf ihn zukam.
»Hallo«, hob er die Hand, »Sie sind Zbigniew Meier, nehme ich an.«
Der Mann hatte einen Akzent, den Zbigniew nicht sofort einordnen konnte. Tonia drehte sich um, blickte von hinten in die Gesprächsachse.
»Entschuldigung, ich kann Ihnen gerade gar nicht die Hand geben«, sagte der Mann und lachte. Zbigniew sah in seiner rechten Hand ein Weinglas, in der linken eine unangezündete Zigarre.
»Und wer sind Sie?«, fragte Zbigniew. Lallte er schon ein wenig?
»Oh. Ich bin da vorhin gestanden in der Runde mit Delia und den anderen. Sie ist meine Schwester. Entschuldigung, Tom Streithoff ist mein Name.«
Er streckte nun doch seine linke Hand entgegen, in zwei Fingern die Zigarre, die anderen drei für Zbigniew.
Ein Bruder, richtig. Zbigniew erinnerte sich, dass Delia ihn erwähnt hatte. Lebte er in Deutschland? Seltsam allerdings sein Akzent. Er war nicht amerikanisch.
»Sind Sie aus den Niederlanden?«, fragte Tonia in diesem Moment von hinten.
»Ah. Guten Tag«, schüttelte der Mann nun auch Tonia seine Drei-Finger-Hand. Sie
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