Die tote Schwester - Kriminalroman
wäre.«
Er starrte sie an. Ihre Ansprache hatte eine Dringlichkeit, wie er es noch nicht von ihr erlebt hatte.
Doch, vor einer Ewigkeit auf dem Flughafen.
»Und ich helfe dir«, fuhr sie fort. »Ich lese mit dir alle diese Bücher. Wenn du mir sagst, wonach wir suchen.«
Zbigniew sah noch einen Moment in ihre dunklen Augen, dann wandte er den Blick ab.
»Wir suchen nach Erkenntnissen über Lion Seeliger«, begann er matt. »Und das Bild, den Feininger. Alles, was damit und mit Gideon Weissberg zusammenhängt. Und Paul Streithoff. Das Bild von Seeliger, das offiziell vernichtet wurde, wurde der Familie Wetzell gegeben, die Eva Weissberg illegal bei sich aufnahm. Gideon Weissberg müsste es eingefädelt haben, weil er den engen Kontakt zu Seeliger hatte. Aber der Ausführende war Streithoff, schätze ich.«
»Wo hast du die ganzen Bücher her?«
»Aus dem EL - DE -Haus, von dem Mann, den dein IHK -Freund mit dem Schnurrbart empfohlen hat. Gideon Weissberg und Lion Seeliger waren in Köln Persönlichkeiten, deshalb kann es sein, dass schon mal ein Autor oder Forscher in irgendeinem völlig anderen Zusammenhang etwas über sie geschrieben hat. Außerdem wüsste ich gern mehr über die Sammlung Seeliger, die es früher im Wallraf-Richartz-Museum gab. Hast du davon schon einmal gehört?«
Tonia schüttelte den Kopf.
Die verlorene Sammlung von Köln, das war doch eine große Sache, die allgemein bekannt sein müsste. Warum war sie es nicht? Offenbar hatte man auch sechzig Jahre nach dem Krieg noch nicht alles aufgearbeitet, was damals passiert war. Zu lange war niemand an solchen Vergangenheiten interessiert gewesen.
»Wichtig wäre auch zu wissen, ob Seeliger und Streithoff sich kannten.«
»Was hat deine Delia eigentlich dazu gesagt?«
Hörte Zbigniew einen etwas zickigen Ton in ihren Worten?
»Von Seeliger wusste ich ja gestern noch nichts, leider«, sagte Zbigniew. » Meine Delia. Es war ja alles zwanzig Jahre vor ihrer Geburt. Ich habe keine Ahnung. Solange ich aber noch kein Gefühl dafür habe, wo ich bei ihr den … « – Zbigniew wollte zuerst Stachel sagen, dann korrigierte er sich aber – »das Seziermesser ansetzen soll, kriege ich sie ohnehin nicht. Bekomme ich nichts aus ihr heraus, meine ich.«
»Du glaubst, sie verheimlicht dir bewusst etwas?«
»Keine Ahnung. Niemand hat über seine Dritte-Reich-Vergangenheit jemals gern geredet.«
Tonia nickte.
»Abgesehen davon geht sie grad gar nicht ans Telefon«, fügte er noch hinzu. »Und ich hab keine Ahnung, wo sie ist.«
»Sie ist in Holland, bei ihrem Bruder. Da wohnt sie ein paar Tage.«
»Was?«
»Ja, hat sie mir gesagt, dass sie da übernachtet.«
Frauen untereinander.
Tonia setzte sich an den Tisch. Zbigniew sah auf die Uhr. Selbst wenn er Toms Nummer in Holland herausfinden würde, war es eigentlich zu spät für einen Anruf.
Über Telefon funktionierte so etwas ja ohnehin nicht.
Tonia schlug ein Buch auf.
»Also gut«, sagte Tonia. »Dann wollen wir mal. Was zahlst du pro Stunde?«
Sie grinste.
Zbigniew wollte auch grinsen, doch der Ansatz erstarb in ihm. Es war ein Lena-Spruch.
Das Bild von Lena, Lena, gefesselt, so wie er geträumt hatte. Da war es wieder. Samuel Weissberg war ebenso festgehalten worden.
War die Mission der Täter längst erfüllt, gingen sie nun fort? Wenn die Täter Samuel sich selbst überlassen hatten, ihn zurückgelassen hatten, verschwunden waren – wäre Samuel gestorben, wenn die Polizei ihn nicht entdeckt hätte?
Wie hatten sie ihn eigentlich entdeckt?
Stand Lena nun dasselbe bevor, hatten die Täter auch sie bereits zurückgelassen?
»Sorry, tut mir leid«, sagte Tonia. Sie hatte bemerkt, dass Zbigniew nicht auf ihre Worte reagiert hatte. »Ich nehm’ die Sache ernst, auch wenn das grade nicht so klang.«
Sie vertiefte sich ins Buch, blätterte eine Seite vor. Zbigniew nickte, ohne dass sie es sah, und nahm ein anderes Buch zur Hand. Sie würden die ganze Nacht genügend Lesestoff haben.
Sie lasen.
Sie lasen fast die gesamte Nacht. Einige Male zeigte Tonia ihm Dinge, die sie entdeckt hatte. Die sein Verständnis für die damalige Zeit verbesserten, aber keine konkreten neuen Erkenntnisse brachten. So zum Beispiel, dass die Nazis über die Gemälde in jüdischer Hand vor allem deshalb exakt wussten, weil sie die Informationen dazu über die Versicherungen bekamen – und fast jedes wertvolle Bild versichert war.
Perfide war ein zu schwaches Wort.
Das Bier ging aus, Zbigniew ging noch
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