Die tote Schwester - Kriminalroman
sie schwammen.
Es war einfacher, sie schwimmen zu lassen.
Er wählte erneut Delias Nummer.
Das Bier hatte in seinem Kopf irgendetwas gelöst. Ihn angeheitert. Er sollte besser bis morgen warten.
Es tutete im Hörer.
Mailbox.
Zbigniew legte auf. Fast verspürte er eine Wut, dass Delia nicht erreichbar war.
Er ärgerte sich, dass er die Befragung am Vorabend vermasselt hatte. Sie hatten eine endlos lange Zeit nebeneinandergesessen, und trotzdem hatte er die entscheidenden Fragen nicht gestellt. Er hatte nicht viel aus Delia herausgesaugt; über Samuels und Lenas Begegnung hatten sie überhaupt nicht gesprochen. Er hatte sich unprofessionell verhalten. Statt sie in die Mangel zu nehmen, hatte er sich von ihr trösten lassen. Und zu viele Gedanken daran verschwendet, wie sein Tête-à-Tête mit Delia auf Tonia wirken würde.
Wie überflüssig.
Sein Bier war leer. Draußen auf der Straße war es völlig still. Ein Gefühl der Einsamkeit überkam Zbigniew.
Tonia.
Er hatte drinnen noch einen Haufen Bücher liegen, die er alle lesen könnte. Bücher, die seine Stimmung nicht verbessern würden. Oder sollte er die DVD schauen, sie war bestimmt unterhaltsamer?
Er sollte Tonia anrufen. Vielleicht war auch sie allein und melancholisch. Hatte er nicht sogar einen Grund, sie anzurufen? Würde sie ihm nicht wichtige Informationen geben, zumal sie ja diejenige war, die sich mit Kunst auskannte? Sie, die mit unerreichbaren Galeristen verkehrte?
Tonia wollte ihm helfen, warum sollte er ihre Hilfe nicht annehmen? Warum hatte er ausgeschlagen, als sie mit ihm zu Mittag essen wollte? Vielleicht, wenn sie nun in diese Bücher hineinschaute, würde sie etwas entdecken.
Es klang vernünftig.
Zbigniew wählte ihre Nummer. Tonia nahm sofort ab.
»Hallo«, sagte sie.
»Hast du noch Lust auf ein Bier?«
»Ja. Gern.«
»Unten im ›Durst‹?«
Er machte diesen Vorschlag eigentlich bloß, damit sie ihn ablehnen würde. Das »Durst« war eine Kneipe, wo Tonia niemals hingehen würde.
»Da war ich in letzter Zeit zu oft. Außerdem ist mir grad nicht nach so vielen Leuten.«
»Mir eigentlich auch nicht.«
»Ich komm kurz noch zu dir.«
Er hatte es provoziert. Jetzt sollte er nicht darüber nachdenken, ob es eine gute Idee war.
»Gern. Ich hab aber gar kein Bier mehr da.«
»Ich geh am Kiosk vorbei und bring was mit. Bis gleich.«
Sie legte auf, bevor er es sich anders überlegen konnte.
Er wollte nur ein bisschen Gesellschaft. Mit jemandem über die neuen Entwicklungen sprechen. Mit einer Person sprechen, die sich mit Bildern auskannte.
Er brauchte nur jemanden, der ihm mehr Bier brachte.
Was wäre eigentlich passiert, wenn Delia ans Telefon gegangen wäre? Wäre der Rest des Abends dann völlig anders verlaufen?
In seinem Kopf waren zu viele Gedanken.
Vielleicht würde ein kleiner Aperitif helfen.
Ohne darüber nachzudenken, schaltete Zbigniew seinen Computer ein. Während dieser hochfuhr, füllte er ein kleines Wasserglas mit Lenas Pomeranzenlikör. Er schaute in sein Gefrierfach, es war immer noch kein Eis da.
Er trank das Glas in einem Zug. Man gewöhnte sich an alles. Außerdem war es vermutlich besser, wenn er die Flasche langsam aufbrauchen würde.
Zbigniew setzte sich auf seinen Stuhl, klickte sich ins Internet. Er gab den Namen »Seeliger« ein, in unterschiedlichen Kombinationen mit anderen Worten. Es gab keine brauchbaren Ergebnisse.
Wenn man mal das Internet brauchte, half es nicht.
Er begann mit einer Suche nach Lenas Entführung. Es schien keine Neuigkeiten zu geben, die Zeitungen hatten immer noch die Artikel vom Vortag auf ihren Seiten stehen. Nur auf der Website der seriösesten der drei Kölner Tageszeitungen fand sich ein längerer Artikel mit einem Mindestmaß an journalistischer Recherche. Aber auch in diesem Artikel wurde erwähnt, dass die Entführte einen doppelt so alten Geliebten hätte, der als Polizeibeamter arbeitete. Zbigniew lag das Wort »Geliebter« schwer im Magen. Am Ende des Artikels wurde klar, dass der Autor versucht hatte, mit den Eltern zu sprechen – erfolglos.
Horst Beinke und seine Frau hielten sich klugerweise zurück.
Ihn selbst hatte noch kein Journalist kontaktiert; offenbar hatten weder die Beinkes noch die Polizei seinen Namen preisgegeben.
Der Artikel war dennoch kein Grund zur Freude, dachte Zbigniew.
Vielleicht sollte er sich besser darüber freuen, was nicht da war. Zum Beispiel keine neuen Kinderfotos von Lena.
Er scrollte die Internetseite runter und
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